Fund des Monats - Transferprojekt "Citizen Science und Dark Heritage"
Mit dem Transferprojekt "Citizen Science und Dark Heritage. Die materielle Kultur der archäologischen Ausgrabungen im Kriegsgefangenenlager Stalag X B Sandbostel (Lkr. Rotenburg [Wümme])" haben wir unter Mitarbeit von Citizen Scientists begonnen, das umfangreiche Fundmaterial aus archäologischen Ausgrabungen und Metalldetektorsondierungen des Kriegsgefangenenlagers zu erfassen. Einige der besonderen Funde, die uns Aufschluss zum Alltag der Kriegsgefangenen, aber auch der Wachmannschaften, in dem Lagerkomplex liefern wollen wir an dieser Stelle regelmäßig präsentieren.
Fund des Monats September 2024 – Die Zahnseifendosen
Drei auf den ersten Blick unscheinbare Funde belegen, wie wichtig die Zahnhygiene der Soldaten während des Zweiten Weltkriegs war und wie unterschiedlich die Zahnpflegeprodukte der unterschiedlichen Truppen waren.
Bei Detektorbegehungen in den Jahren 2009 und 2016 konnten drei Dosendeckel aus Aluminium geborgen werden. Alle drei Behälter sind zwar unterschiedlich stark verformt, haben aber einen Durchmesser von 5 Zentimeter und eine Höhe von etwa 1 Millimeter. Auf allen Deckeln befinden sich Beschriftungen. Auf einem Deckel lassen sich die Worte „Savon Dentifrice Supérieur Paris France (...) 40" erkennen. Die anderen beiden Deckel tragen als Aufschrift den Markennamen „Gibbs Dentrifice“. In einem Fall ist der Markenname einfach ausgeschrieben, im anderen Fall ist der Markenname aufwendig als Markenlogo gestaltet worden. Der Buchstabe „G“ groß aufgebracht und mit Wellenlinien verziert worden. Die Buchstaben „IBBS“ sind in das große G eingebunden und über dem Buchstaben noch die Worte „Savon Dentifrice“ eingeprägt worden. Damit stammen zumindest zwei der drei Dosendeckel von Zahnseifen der zeitgenössischen Marke Gibbs Dentifrice aus Großbritannien
Zahnseifen sind ein Vorgänger der heutigen Zahnpasten. Zahnseife kann in flüssiger und fester Form hergestellt werden. Die feste Form ermöglichte es, Zahnseife leicht zu portionieren und zu transportieren. Für die Zahnreinigung wurde die angefeuchtete Zahnbürste so lange auf der Seife hin- und herbewegt, bis sich ausreichend Schaum bildete.
Der Gedanke, sich die Zähne mit Pulver zu reinigen, ist schon seit der Antike bekannt. Bereits Plinius der Ältere beschreibt ihren Gebrauch und führt die Bezeichnung Dentrificium - ein Mittel zum Abreiben der Zähne - ein. In der Neuzeit kommen dann auch Zahnseifen auf, erst vor allem in flüssiger und seit der Mitte des 19. Jahrhundert vermehrt in fester Form. 1857 beginnt der Apotheker Adolf Heinrich August Bergmann (1799–1858) mit der industriellen Produktion von Zahnseife.
In England produzierte der Familienbetrieb „D & W Gibbs“ schon länger eine eigene flüssige Zahnseife, als 1906 Geschäftspartner darum baten, eine feste Zahnseife für den französischen Markt zu entwickeln. Die Zahnseife der Firma Gibbs wurde durch den Anis-Geschmack und die runde Dose mit dem Firmenlogo bekannt und sehr erfolgreich. Dieser Erfolg führte dazu, dass die feste Zahnseife einige Jahre später unter dem Namen “Gibbs French Dentifrice” in Großbritannien eingeführt wurde und hier zum Marktführer aufstieg. Im Ersten Weltkrieg gehörte Zahnseife zur Standardausstattung der britischen Truppen und eine Packung der Marke Gibbs konnte sogar bei archäologischen Untersuchungen der britischen Stellungen am Mont-Chatte bei Reims (Frankreich) nachgewiesen werden. Die Soldaten schätzten aber nicht nur die gesundheitliche Wirkung und den frischen Geschmack der Zahnseife, sondern auch ihre reinigende Eigenschaft als Politur für Knöpfe und Abzeichen.
Die Zahnseife von Gibbs blieb in England auch nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg durch sein erfolgreiches Marketing erfolgreich, verlor aber seit dem Ende der 1950er durch den Erfolg von Zahnpasta Marktanteile und wurde 1975 eingestellt.
Die Funde der Zahnseifendosen aus dem Stalag X B Sandbostel zeigen die Bedeutung der Zahnhygiene auch in Kriegsgefangenschaft. Durch die Inschriften auf den Dosendeckel lassen sich die Produkte im Idealfall nicht nur einer bestimmten Nationalität zuweisen, sondern auch einer bestimmten Marke, sodass wir mehr über die Kriegswirtschaft der einzelnen Länder und die Versorgung der Soldaten der einzelnen Armeen erfahren können. So scheinen britische – vielleicht auch französische – Soldaten mit fester Zahnseife in Dosen ausgestattet worden zu sein, die im Gegensatz zu Zahnpasta aus der Tube unempfindlicher für äußere Einflüsse war.
Die Funde werfen aber auch neue Fragen auf: Ist die Zahnseife mit den Kriegsgefangenen in das Lager gekommen oder kam sie durch die Carepakete ins Lager? Hatten die Soldaten durchgehend ihr präferiertes Produkt zur Verfügung oder mussten sie sich an Produkte, die ihnen die Deutschen gaben, gewöhnen? Und wurden die Dosen nur für die Aufbewahrung von Zahnseife verwendet oder wurden in ihnen andere persönliche Gegenstände aufbewahrt?
Literaturhinweise:
- Alain Devos/Sébastien Laratte/Nicolas Bollot/G. Fronteau, „Creutes“ et réseaux de défenses dans les paysages de guerre, exemple du Mont-Chatte (Hermonville, France). Revue de géographie historique 14-15 [Impacts environnementaux et approches spatiales de la Grande Guerre], 2019, 1–18. DOI: 10.4000/geohist.646.
- Rhys Watson, Dental officers awarded the Military Cross in the Second World War. British Dental Journal 230, 2021, 473–476. DOI: https://doi.org/10.1038/s41415-021-2786-5.
- Gibbs Dentifrice. Online-Archiv der Firma Unilever. URL: https://www.archives-unilever.com/explore/search/search/media-type:documents--brand:gibbs-dentifrice (Abrufdatum: 05.09.2024).
- Museum Sybodo. Medizinische Instrumente und Geräte der Krankenpflege. Homepage der medizinhistorischen Privatsammlung von Dr. med. Henri Kugener. URL: https://www.kugener.com/de/zahnheilkunde/60-artikel/3297-zahnseife-5.html (05.09.2024).
Fund des Monats August 2024 – Die Kriegsgefangenenmarken
Mit 83 Einträgen bilden die Kriegsgefangenenmarken nicht nur die größte, sondern auch die wichtigste Fundgruppe aus dem Stalag X B Sandbostel. Die meisten Marken wurden bei Detektorbegehungen gefunden, einige aber auch bei Ausgrabungen. Die Funde sind bis auf wenige Ausnahmen nur fragmentarisch und mehr oder weniger stark korrodiert erhalten geblieben. Leider lässt sich im Einzelnen nicht mehr rekonstruieren, auf welchen Weg die Kriegsgefangenenmarken ihren Weg in den Boden fanden.
Die vollständigen Marken bestehen aus einem 0,1 cm dünnem Blech, sind 6 x 4 cm groß und wiegen ca. 14 g. Sie weisen eine Sollbruchstelle und drei Durchbohrungen auf. An den beiden Durchbohrungen an der oberen Längsseite wurde eine Schnur oder ähnliches angebracht, um die Marke um den Hals tragen zu können. Die Durchbohrung im Eckbereich der unteren Längsseite diente dazu, die abgetrennten Hälften auf einer Schnur oder einem Draht aufzureihen und sammeln zu können. Wenn der Träger einer Marke starb, wurde diese entlang der Sollbruchstelle getrennt. Die obere Hälfte verblieb bei dem Leichnam, die untere Hälfte wurde zur Erfassung des Toten eingesammelt und verwahrt.
Die Kriegsgefangenenmarken dienten der Identifizierung und Verwaltung der Insassen in den Lagern. Jeder Kriegsgefangene erhielt bei der Erstaufnahme eine Kennmarke mit einer laufenden Nummer sowie der Kennung des Stalag. Anschließend wurden die Gefangenen fotografiert und zwei Karteikarten zu den persönlichen und zu den wirtschaftlichen Verhältnissen (Personalkarte I und II) angelegt.
Für die Forschung, die Vermittlungsarbeit und besonders für die Angehörigen der ehemaligen Kriegsgefangenen stellen die Erkennungsmarken wegen ihren Inschriften daher eine bedeutende Quelle dar. Unter Umständen lassen sich diese unscheinbaren Funde einem einzelnen Kriegsgefangenen zuweisen. Im Fall von sowjetischen Kriegsgefangenen, die entgegen der Genfer Konventionen nicht immer registriert wurden, kann mit der Kennung des Stalags und der eingeprägten Nummer mit Glück auf der Homepage von memorial.ru die zugehörige Personalkarte samt Foto recherchiert werden und so der Fund mit dem Leben einer Person verknüpft werden. So konnte die Gedenkstätte Lager Sandbostel mit Hilfe der auf dem Foto erkennbaren Lagerkennung „123084 X B“ von Sergei Konoplja dessen weiteres Schicksal recherchieren. Sergei Konoplja starb 10.08.1944 im Lazarett Rohsten bei Nienburg an Tuberkulose.
In Zukunft sollen alle Kriegsgefangenenmarken, die im Bereich der Gedenkstätte Lager Sandbostel gefunden werden, in der Datenbank erfasst werden, um so die Recherche nach den Personen hinter den Funden und deren Schicksal voranzubringen.
Fund des Monats Juli 2024 - Die Kaffeemühle aus der "Zahlmeistergrube"
Als einer der ersten Funde einer archäologischen Untersuchung im ehemaligen Stalag X B Sandbostel kam das Oberteil einer Kaffeemühle zutage, das Brandspuren aufwies und stark korrodiert war. Nach der Restaurierung sind die Handkurbel und vor allem die Teile des Mahlwerks wieder in einem guten Zustand.
Der Fund wurde von der AG Spurensuche im Jahr 2005 aus einer rechteckigen 2 mal 1,8 Meter großen und 80 Zentimeter tiefen Grube geborgen. Die Grube lag außerhalb des Lagerzauns des ehemaligen Vorlagers in unmittelbarer Nähe eines Weges zwischen der Kommandantur und der Zahlmeisterei. Neben der Kaffeemühle fanden die Ausgräber noch eine silberne Kaffeekanne und weiteres Essgeschirr wie Teller, Becher und Tassen. Außerdem lagen in der Grube noch Militaria wie Helme und ein Gasmaskentornister sowie eine Reihe an Büroutensilien vor allem Papiere, Aktenordner, Tintenfässer, Stempel, Locher, aber auch Fragmente einer Schreibtischlampe und Reste einer Tischuhr. Wegen der Zusammensetzung der Funde und der Lage der Grube bezeichneten die Ausgräber sie als „Zahlmeistergrube“. Die Brandspuren an den Funden und in der Grube zeigten, dass die Objekte gezielt in der Grube verbrannt worden sind. Wahrscheinlich wurde hier nicht mehr benötigtes Material nach der Befreiung des Lagers durch die britischen Truppen gezielt entsorgt.
Aufgrund des Durchmessers von 10 Zentimeter ist die Kaffeemühle den sogenannten Schoßmühlen zuzuordnen. Im Gegensatz zu Tischmühlen waren Schossmühlen kleiner und mussten nicht auf eine Unterlage angeschraubt werden, um den Kaffee zu zermahlen, sondern konnte dafür zwischen den Beinen gehalten werden. Daher stammt auch der Name Schoßmühle. Meist besitzen diese Kaffeemühlen einen Körper aus Holz. In Fall der Kaffeemühle aus der „Zahlmeistergrube“ ist der hölzerne Körper vermutlich verbrannt und daher nicht mehr erhalten.
Der Fund des Kaffeemühlenfragments kann uns in Verbindung mit dem restlichen Essgeschirr Auskunft über die Versorgungslage der Menschen in der Lagerverwaltung geben. Im Gegensatz zu den Kriegsgefangenen stand ihnen nicht nur qualitativ hochwertigeres Essgeschirr zur Verfügung. Zudem hatten sie Zugang zu Nahrungsmitteln, die während des Krieges als Luxusgut galten. Denn mit Kriegsbeginn war der Import von Bohnenkaffee nach Deutschland nahezu komplett zum Erliegen gekommen. Die wenigen Mengen an verfügbaren Bohnenkaffee wurden rationiert. Echter Kaffee wurde durch Ersatzkaffee wie „Kornkaffee“ ersetzt. Trotz dieses Engpasses konnten das Verwaltungspersonal Bohnenkaffee beziehen, mahlen und aus gutem Geschirr trinken.