Das Musikerexil in Shanghai 1938-1949
Shanghai bot ab 1933 etwa 18.000 Flüchtlingen aus Deutschland und Österreich Zuflucht vor den Verfolgungen des NS-Staats; darunter waren auch etwa 400 Musiker und Musikerinnen. Für die meisten war die Stadt kein Wunschziel, sie steuerten die chinesische Hafenstadt nur deshalb an, weil dort keine Visumspflicht herrschte. Vor allem weniger prominente Musiker wählten daher Shanghai als Ziel ihrer Flucht.
Zeitlich begrenzt bis zur Machtübernahme der Kommunisten 1949 war Shanghai als Exilort in kultureller, sprachlicher, gesundheitlicher und politischer Hinsicht ein Sonderfall, da die Stadt außer von der chinesischen Kultur auch von den Kolonialmächten USA, Großbritannien und Frankreich, von japanischen Besatzern, Auslandsdeutschen und anderen Nationalitäten geprägt war. Auch wurden die Flüchtlinge mit Kriegshandlungen und 1943-1945 mit einer ghettoähnlichen Situation konfrontiert. Shanghai bedeutete für die Musiker einen Schock, was zu weitgehender kultureller Abgrenzung, aber auch zu vielfältigen Anpassungsstrategien führte, die je nach Berufsgruppe ganz unterschiedlich ausgerichtet waren: bei den Unterhaltungsmusikern auf die Jazzmusik der Amerikaner, die allerdings in Shanghai auch chinesischen und japanischen Einflüssen ausgesetzt war, im Musiktheater teilweise auf die jiddische Theaterkultur der polnischen Flüchtlinge und bei den Pädagogen auch auf Transfers westeuropäischer Musikkultur in die chinesische Gesellschaft hinein.
Ziel des Projekts ist es, der Gruppe der exilierten Musiker in Shanghai in Bezug auf die Frage kultureller Transfers und Verflechtungen nachzugehen, wie sie vor allem in den Geschichts- und Kulturwissenschaften erarbeitet wurden. So wird es um Prozesse der Identitätsbewahrung und Abschottung ebenso wie der Anpassung und des Austauschs gehen. Das Vorhaben gliedert sich dabei in drei Arbeitsbereiche: „Biographien“, „Musikleben“ und „Komposition“. Erstens sollen die Biographien der Musiker erforscht werden, wobei Schwerpunkte auf den beruflichen Möglichkeiten im Exil und den Auswirkungen auf die Zeit nach dem Exil liegen. Zweitens geht es um eine Darstellung des von den Flüchtlingen weitgehend unabhängig von den bestehenden Strukturen – gewissermaßen „von unten“ – aufgebauten Musiklebens, d. h. um die Gründung von Ensembles, Berufsorganisationen, Konzertdirektionen usw. Als Gegenpol dazu soll das Wirken der selbstständigen Musikpädagogen und Unterhaltungsmusiker sowie die Rolle der Flüchtlinge in den alteingesessenen Institutionen, dem Shanghai Municipal Orchestra (heute Shanghai Symphony Orchestra) und der Nationalen Berufsschule für Musik (heute Shanghai Conservatory of Music), beachtet werden. Dies sind Bereiche, in denen Prozesse kultureller Transfers gut zu beobachten sind. Drittens geht es um eine Einordnung der kompositorischen Tätigkeiten vor dem Hintergrund dessen, dass sich im Exil sämtliche Bezugspunkte des Komponierens, das Publikum ebenso wie die Anregungen durch die Umwelt, veränderten.
Die Studie basiert überwiegend auf Primärquellen, d. h. auf Nachlässen, Dokumentensammlungen, Entschädigungsakten, Erinnerungsberichten und der Presse, die von der Forschung zum Teil noch nicht beachtet wurden.
- Dauer: 2014-2019
- Drittmittelgeber: Deutsche Forschungsgemeinschaft