Empirische Kulturwissenschaft
Für die Empirische Kulturwissenschaft spielt Nachhaltigkeit als Praxis, als Diskurs und als Wissenschaftsethos eine Rolle. Als eine Disziplin, die sich der Erforschung von Alltagskulturen verschreibt, befasst sie sich zuvorderst damit, wie nachhaltiges Leben und Wirtschaften eigentlich aussehen kann. Sie forscht empirisch in diversen sozialen Welten und Konstellationen dazu, was genau Menschen mit Dingen und in Umwelten tun und wie sie dabei Bezug nehmen auf das Nachhaltigkeitsideal, in so unterschiedlichen Feldern wie Urban-Gardening-Initiativen, in DIY-Reparaturwerkstätten und auf biodynamischen Öko-Landhöfen genauso wie in multinationalen Konzernen, in der Verwaltung oder in wissenschaftlichen Laboren. Damit generiert die empirisch kulturanalytische Forschung Wissen darüber, wie vielschichtig Nachhaltigkeit je nach Kontext praktisch ausgelegt, angeeignet und mit Leben gefüllt werden kann. Da das Konzept Nachhaltigkeit eine Querschnittsdimension und in vielen Feldern auch Gegenstand von gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen ist, erforscht die Empirische Kulturwissenschaft dessen Bedeutungsdimensionen und politischer Wirkkraft und untersucht, wer diesen Begriff, mit welchen diskursiven und praktischen Mitteln und zu welchen Zwecken mobilisiert.
Um die empirisch-kulturanalytische Nachhaltigkeitsforschung fest in der Forschung und Lehre am Institut für Empirische Kulturwissenschaft zu verankern, wurde im Wintersemester 2024/25 mit der neu berufenen Juniorprofessur, der inhaltliche Schwerpunkt „NaturenKulturen“ eingerichtet und mit Ruzana Liburkina besetzt. Daran geknüpft ist die Gründung des Forschungsstudios Naturen|Kulturen, das sich der kontinuierlichen und statusgruppenübergreifenden Zusammenarbeit in solchen Fragen und Feldern verschreibt. Im Institutskolloquium im Sommersemester 2025 wird die Frage danach im Mittelpunkt stehen, welchen spezifischen Beitrag die die ethnografische Wissensproduktion dabei leisten kann. Hier präsentieren und diskutieren renommierte Expert:innnen aus dem Feld der sozial- und kulturwissenschaftlichen Umweltforschung ihre Ergebnisse und Perspektiven.
In einem langjährigen Schwerpunkt zu Norddeutschland und regionale Kultur, der von Norbert Fischer vertreten wird, werden der Umgang mit Natur und Umwelt erforscht und in Lehrveranstaltungen, Forschungsmodulen und Buchprojekten thematisiert. Dabei geht es beispielsweise um von Überflutungen bedrohte Landschaften, um Wahrnehmungen von Risikolandschaften an der Nordseeküste („Friedhof am Meer“, 2015, dto.) oder um Fragen des Plastikmülls an Stränden und Ressourcen maritimer Lebensformen („Spuren des Maritimen“, 2024, dto.). Weitere Forschungs- und Buchprojekte handeln vom ökologisch motivierten Umgang mit dem Wasser in den niedrig gelegenen Marschlandschaften an der Elbe und der Nordseeküste („Marschland“, 2024). In Lehrveranstaltungen wird auf Geschichte und Gegenwart von Natur- und Landschaftswahrnehmungen eingegangen (z. B. SoSe 2025: „Natur – Landschaft – Ökologie: Wahrnehmungen und materielle Verhältnisse in Geschichte und Gegenwart“), Dinge als analytische Einfallstore für die Betrachtung diverser Dimensionen der ökologischen Krise genutzt („Überbleibsel, Übeltäter, Überlebenschancen: Dinge in der ökologischen Krise“, 2024, Liburkina) sowie Veränderungswissen für die Nachhaltigkeitstransformation im Alltag untersucht (Lehrforschungsprojekt „Veränderungswissen. CO2 neutral leben“, Gertraud Koch).
Wie das Konzept Nachhaltigkeit auf den Kultursektor angewendet werden kann und mit diesem verschränkt ist, ist eine weitere zentrale Achse der Nachhaltigkeitsforschung am Institut. Beispielsweise fragt die laufende Dissertation „Living Sustainabilities“ von Samantha Lutz danach, wie in Zeiten des digitalen Wandels neue Verständnisse davon ausgehandelt werden, wie Nachhaltigkeit in der Kultur in Zukunft gedacht und ausbuchstabiert werden soll. Ein wichtiges Anliegen dieser diskursethnografischen Forschung wie auch des inzwischen ausgelaufenen EU Projektes „Participatory Memory Practices“ (POEM) ist dabei, soziale und kulturelle Dimensionen als zentrale, aber auch eigenständige Bereiche nachhaltiger Entwicklung zu erforschen und die transformative Kraft von einer breit angelegten gesellschaftlichen Teilhabe sichtbar zu machen. Vielfach bewegen sich diese Forschungen im Schnittfeld zur kulturanalytischen Digitalisierungsforschung mit ihrem Blick auf die neuen Bedingungen kultureller Produktion im Digitalen, was ebenfalls ein langjährigerer Forschungsschwerpunkt am Institut ist.