Nachruf für Martin Warnke
12. Dezember 2019, von Dr. Anke Napp

Foto: Warburg-Haus
Am 11. Dezember 2019 ist Martin Warnke in Halle/Saale gestorben. Das Kunstgeschichtliche Seminar trauert um einen großen Kunsthistoriker, akademischen Lehrer, geschätzten Kollegen und eine Forscherpersönlichkeit, die weit über Hamburg hinaus das Fach geprägt hat. 1937 in Ijuí (Brasilien) als Sohn eines evangelischen Pfarrers geboren, studierte Martin Warnke Kunstgeschichte, Geschichte und Germanistik in München, Madrid und Berlin. An der Freien Universität Berlin 1963 mit einer Studie über Rubens promoviert und an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster 1970 mit einer Arbeit zu Kunst- und Sozialgeschichte der Hofkunst habilitiert, lehrte er als Professor von 1971 bis 1978 in Marburg und seit 1979 an der Universität Hamburg.
Sein Interesse an den sozialgeschichtlichen und politischen Aspekten der Kunstgeschichte führte zur Einrichtung des Bildindex zur Politischen Ikonographie, der bis in seine Marburger Zeit zurückreicht und den Martin Warnke bis zu seinem Tod weiter ausgebaut hat. Neben zahlreichen Einladungen an bedeutende Forschungseinrichtungen und den Ehrendoktorwürden der TU Dresden und TU Dortmund wurde Martin Warnke 1990 mit dem Leibniz-Preis, 2006 mit dem Internationalen Forschungspreis der Gerda Henkel Stiftung und 2012 mit dem Aby M. Warburg-Preis der Freien und Hansestadt Hamburg ausgezeichnet. 2005 wurde ihm zu Ehren von der Aby-Warburg-Stiftung und der Universität Hamburg die Martin Warnke-Medaille gestiftet. Sie wird alle drei Jahre für besondere wissenschaftliche Leistungen auf dem Gebiet der Kulturwissenschaft verliehen.
Martin Warnkes Verdienst war es, die gängigen Rückprojektionen des Sprechens über Kunst überwinden zu wollen und stattdessen an einer Rekonstruktion der historischen Diskurse zu arbeiten; ein Befreiungsschlag für das Fach Kunstgeschichte und folgenreich auch für andere Fächer. Namentlich sein Anknüpfen an die Arbeiten Aby Warburgs und eine Wiedergewinnung der Forschungen vieler kunsthistorischer Exilanten stellten einen Durchbruch der Aufarbeitung der eigenen Fachgeschichte und wesentliche Impulse für neuere Forschungen dar. Martin Warnkes kunstsoziologische Arbeiten, die nach den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von Kunst und nach der Rolle von Künstlern fragen, erschütterten und beschenkten das Fach gleichermaßen. Hinzu kamen in Martin Warnkes Publikationen die drängenden Fragen nach Figurationen und Praktiken der Negation, die seine Arbeiten zum Bildersturm auszeichnen. Der Austausch mit Studierenden, Kolleginnen und Kollegen war für Warnke von essenzieller Bedeutung. Immer war er offen und bereit zum Gespräch; bis zuletzt blieb er im Warburg-Haus und im Kunstgeschichtlichen Seminar präsent.
Schon als junger Mann stemmte sich Martin Warnke in seinen Reportagen zum Frankfurter Auschwitz-Prozess gegen die „Verweigerung der Erinnerung“; sein wissenschaftliches Wirken hat dazu beigetragen, das Fach der Kunstgeschichte für politische Fragen zu sensibilisieren, die gerade heute in einer Zeit globaler sozialer, wirtschaftlicher, ökologischer und kultureller Herausforderungen auch unsere Arbeit leiten sollten.
In seiner Abschiedsrede anlässlich seiner Emeritierung hat er sich selbst in einem Atemzug als einen „Institutionalisten“ und als einen „Sympathisanten der Ich-AG“ bezeichnet. Beides gehörte für ihn zusammen und zwar deshalb, weil Institutionen die unterschiedlichen Interessen und Vermögen der Individuen am besten ausgleichen. Martin Warnke hat nicht Konsens zu erzwingen versucht, sondern er hat stets das Hamburger Seminar als gemeinsame Institution pluraler Positionen gestärkt.
Wir, die wir zurück bleiben, haben ihm unendlich viel zu verdanken. Unsere Gedanken sind bei seiner Familie.