Wissensräume –Wissenspraktiken
Im Rahmen des zweisemestrigen Projektseminars Wissensräume – Wissenspraktiken beschäftigten sich 18 Bachelor-Studierende unter Anleitung von Prof. Dr. Sabine Kienitz mit den komplexen Beziehungen von Räumen und Wissensformen. Dabei arbeiteten die Studierenden mit einer Vielfalt von Theorien und Methoden. Die akteurszentrierten Perspektiven wurden mit Hilfe von ethno- und praxeographischen Zugängen wie Teilnehmender Beobachtung, verschiedenen Interviewformen, Mental Maps, visueller Anthropologie und Methoden der materiellen Kulturforschung (Akteur-Netzwerk-Theorie bzw. Dinganalyse) sichtbar gemacht. Die Studierenden interessierten sich für soziale Praktiken, Bedeutungszuschreibungen und ‑aushandlungen der Akteur*innen in ganz unterschiedlichen Forschungsfeldern. Dabei spielten neben der historischen Einbettung auch diskursanalytische Überlegungen eine Rolle, weshalb sich die Studierenden im ersten Teil des Seminars im Sommersemester 2019 auf der Basis von Literaturrecherche und explorativen Zugängen ihren jeweiligen Forschungsfeldern und ‑Fragen näherten. Im zweiten Teil des Seminars im Wintersemester 2019/2020 wurde dann das eigene empirische Material analysiert, interpretiert und mit theoretischen Perspektiven verknüpft. Parallel dazu wurden in der Schreibwerkstatt unter der Anleitung von Eva Paetzold wissenschaftliche Poster erarbeitet und gestaltet.
Nach einer Einführung in kulturwissenschaftliche Raum- und Wissenstheorien und einer Methodenvertiefung durch Übungen generierten die Studierenden Forschungsprojekte mit den folgenden Schwerpunkten:
Digitalisierung
Susanne Hochmann
Digitale Ordnungspraktiken – Ein Zuhause für die Daten finden
Der Computer dringt immer weiter in den Alltag ein, er übernimmt viele Verarbeitungsprozesse des täglichen Lebens. Damit einhergehend entsteht eine schier unüberschaubare Menge an Daten und macht die User zu Archivar*innen, Kurator*innen und Entsorger*innen gleichermaßen. Das Forschungsprojekt geht einer Reihe von Fragen nach: Welche Ordnungs- und Verwertungspraktiken gibt es für digitale Daten? Wie gehen einzelne Akteursgruppen wie zum Beispiel Student*innen mit ihren Daten um? Wo werden diese Daten abgelegt, und nach welchen Kriterien werden sie als „alt“ eingestuft? Nach welchen Gesichtspunkten wird sortiert, geordnet und kuratiert? Welche Ordnungspraktiken und Zugriffsmöglichkeiten entwickeln sich angesichts der Tatsache, dass riesige Mengen von Daten in der Cloud gespeichert werden können? Auf der Basis von Interviews untersucht das Projekt das Phänomen des „digitalen Self-Storage“. Dabei geht es von der These aus, dass die Cloud als digitaler Raum individuelle Ordnungsstrategien abbildet und die persönliche Bedeutung von digitalen Gegenständen für die eigene Geschichte und Identität erzählt.
Lina Weisener
Sehnsucht ins Bild gesetzt – Kunstrezeption im Museum und auf Instagram
Unter dem Hashtag #hamburgerkunsthalle sind auf Instagram zahlreiche Fotos von Besucher*innen zu finden, die den Wanderer über dem Nebelmeer von Caspar David Friedrich zitieren. Die Fotografien sind angelehnt an dieses Gemälde, das ein beliebtes Motiv der deutschen Romantik darstellt, welches in der Kunstgeschichte als Rückenfigur bezeichnet wird.
Allen diesen Fotografien ist gemeinsam, dass das jeweils fotografierte Subjekt im Mittelpunkt positioniert ist, mit dem Rücken zur Kamera und auf die gemalte Landschaft blickend. Die ästhetische Gestaltung variiert dabei je nach Nutzer*innenprofil, d.h. die privaten Reinszenierungen des Bildmotivs unterscheiden sich u.a. durch die individuelle Bearbeitung mit Filtern sowie durch Helligkeit, Sättigung und Lichttemperatur. Das Projekt beschäftigt sich mit diesen Praktiken der Selbstinszenierung der Museumsbesucher*innen und der Frage, inwieweit diese ein bestimmtes historisches Bildwissen repräsentieren und dabei als Ausdruck einer romantischen Sehnsucht nach Entschleunigung und Natur interpretiert werden können.
Untersucht wird, inwieweit Wissensinstitutionen wie z.B. Museen die Grundbedingungen dafür liefern, dass bzw. wie dieses Bildwissen zugänglich gemacht und transformiert wird. Wie ist das Verhältnis zwischen Nutzer*in, gemalter Natur und technischer Reproduktion? Methodisch basiert das Projekt auf Teilnehmender Beobachtung in der Hamburger Kunsthalle und Ansätzen der visuellen Anthropologie.
Materialitäten
Verena Schmidt
Stolpersteine: Wissensvermittlung im öffentlichen Raum
Das Medium der Stolpersteine macht Vergangenheiten im Hamburger Stadtraum sichtbar. Seit 2002 wurden in der Hansestadt 5660 dieser kleinen Mahnmale vor den ehemaligen Wohnorten der Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft verlegt. Sie werden bis heute von dem Künstler Gunter Demnig gestaltet und erinnern in vielen Ländern Europas an die Folgen des Nationalsozialismus. Dabei verweisen sie auf individuelle Schicksale von Menschen, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurden, und vermitteln Wissen über deutsch-jüdische Geschichte. Das Projekt beschäftigt sich mit dieser spezifischen Form der Erinnerungskultur und Wissensvermittlung im öffentlichen Raum vor dem Hintergrund kulturwissenschaftlicher Gedächtnistheorien. Mit ethnographischen Methoden wird am Beispiel einer spezifischen Stolperstein-Geschichte folgende Frage erörtert: Wie geht das kommunikative Gedächtnis einer Angehörigenfamilie durch die Materialisierung in einem Stolperstein in ein kulturelles Gedächtnis und somit letztlich in das kollektive Gedächtnis ein?
Karoline Kaiser
Das Hamburger Hafenmuseum als Wissensraum
Im Hansahafen befindet sich an einer über 100 Jahre alten Kaianlage des Hamburger Hafens das Hafenmuseum. Im historischen Schuppen 50A übernehmen die Hafensenioren sowie ehrenamtliche und freie Mitarbeiter*innen die Aufgabe, den Besucher*innen Einblicke in die Arbeitswelt des Hafens vor der Einführung des Containers zu geben. Darüber hinaus laufen auch Schulprojekte, in deren Rahmen Schüler*innen konkretes Wissen über den Wandel von Arbeit und Technik im Hafen vermittelt wird. Am Beispiel eines Projekts der Gesamtschule Wilhelmsburg richtet sich das Interesse der Forschung auf die Vermittlung von Körperwissen an Schüler*innen, die seit drei Jahren im learning-by-doing Verfahren gemeinsam an der Rekonstruktion des hölzernen Bootes „Jolle“ arbeiten. So entsteht in Eigenarbeit Schritt für Schritt ein einzigartiges Museumsobjekt, welches die klassische Definition von Ausstellungsobjekten als historische Artefakte herausfordert. Das Projekt untersucht mit Methoden der teilnehmenden Beobachtung und qualitativen Interviews die Interaktion der Schüler*innen mit den Museumspädagog*innen und Ehrenamtlichen sowie die spezifische Art der Vermittlung von praktischem Wissen am Objekt.
Gert Henry Hagemann
Der Darkroom: Von Kontaktzonen und Wissensräumen in schwulen Bars
Im Kontext schwuler Kultur beschreibt der Begriff Cruising die anonyme Suche nach potenziellen männlichen Sexualpartnern im öffentlichen Raum. Dazu werden beispielsweise Parkanlagen oder Toiletten für Begegnungen und sexuelle Kontakte angeeignet. Das Projekt beschäftigt sich mit einer Bar im queeren Hamburger Stadtteil St. Georg als einem jener Räume, die in den 1970er Jahren speziell für das Cruisen geschaffen und gestaltet worden sind. Dabei wird sowohl der gebaute als auch der soziale Raum dieser Bar als Kontaktzone untersucht und am Beispiel des Darkrooms gefragt, wie hier cruisende Akteure und Architektur aufeinander einwirken. Die forschungsleitende Frage ist, wie diese Räume sozial konstruiert werden und welche Verhaltensnormen für diese Formen des Cruisens in kommerzialisierten Räumen gelten. Methodisch konzentriert sich die Forschung auf teilnehmende Beobachtungen und narrative Interviews.
Aileen Handierk
Kleine Paradiese? Gärten und Grünwissen in der Stadt
Urban Gardening, die Gestaltung, Aneignung und Begrünung ungenutzter Flächen im öffentlichen Stadtraum, ist ein Phänomen, das seit einigen Jahren auch in Hamburg die Menschen mobilisiert. Das Forschungsprojekt widmet sich diesem Thema am Beispiel des Projekts „Kleine Paradiese an der Meenkwiese“, das 2012 im Hayns Park im Hamburger Stadtteil Eppendorf durch Anwohner*innen ins Leben gerufen wurde. Die Idee hinter dem gemeinschaftlichen Projekt ist, dass die einzelnen Beetabschnitte im Park durch Pat*innen betreut, d.h. nach je eigenem Geschmack gestaltet und dauerhaft gepflegt werden. „Kleine Paradiese an der Meenkwiese“ ist eine sogenannte Grün-Patenschaft, bei der Privatpersonen in Kooperation mit dem zuständigen Bezirksamt öffentliche Flächen pflegen. Das Forschungsinteresse gilt hierbei den Strategien der räumlichen Aneignung und der Raumgestaltung durch die Gärtner*innen und ihren Praktiken der Wissensvermittlung z.B. an Stadtkinder. Das Projekt basiert auf ethnographischen Methoden von Interview und teilnehmender Beobachtung.
Darina Hashem
Dinge von Geschlecht: Wissensraum „Sexshop“
Der weltweit erste Sexshop wurde 1962 als „Fachgeschäft für Ehehygiene“ in Flensburg eröffnet. Seitdem hat sich das Geschäft mit dem Wissen über Sexuelles stark gewandelt. Das Projekt setzt sich am Beispiel eines sexpositiven feministischen Sexshops in Hamburg mit den Materialitäten, der Gestaltung und den Präsentationsformen dieses Wissensraums auseinander. Das Interesse gilt hierbei vor allem der Aushandlung und (De-)Konstruktion von sexualisierten Geschlechterstereotypen. Ausgangspunkt ist die Frage nach den Möglichkeiten dieses Sexshops, heteronormativ geprägte Wissensbestände zu hinterfragen bzw. sie in einen anderen Kontext zu stellen. Welche Strategien nutzen die Mitarbeiter*innen, um den Kund*innen alternative Konzepte zugänglich zu machen? Zu diesem Zweck werden die Materialitäten der angebotenen Produkte wie z.B. Sextoys und deren Verpackungen auf die hier eingeschriebenen Geschlechtervorstellungen befragt. Darüber hinaus geht es um die Strategien und Praktiken, mit denen die Verkäufer*innen heteronormative Geschlechterbilder reproduzieren oder aufbrechen.
Thi Thu Trang Tran
Tofu, Sojasauce & Co. – Wissensraum Asia-Markt
„Asia-Märkte“ unterscheiden sich von anderen Supermärkten im Stadtraum durch ihre spezifische Produktpalette. Hier werden Lebensmittel und andere Produkte des alltäglichen Bedarfs verkauft, die vorwiegend aus zentral- und ostasiatischen wie auch afrikanischen Ländern importiert werden. In den letzten zwei Jahrzehnten hat diese Art von Supermärkten in Deutschland an Popularität gewonnen. Offizielle Zahlen gibt es jedoch nicht. Ausgehend von der Frage nach Wissensräumen und Wissenspraktiken widmet sich das Projekt einem speziellen Produkt im Asia-Markt, dem Tofu. Das Soja-Produkt wird als eine Alternative zu tierischen Proteinen eingesetzt und auch in konventionellen Supermärkten in verschiedenen Varianten angeboten, meist als Fleisch- bzw. Wurstersatz. Im Asia-Markt ist Tofu dagegen ein Standardprodukt und in der ungewürzten weißen Form von verschiedensten Hersteller*innen erhältlich. Die Auswahl ist groß und erfordert Wissen darüber, wie sich die verschiedenen Tofuarten voneinander unterscheiden und was die spezifische Qualität des Produktes ausmacht. Hier setzt das Projekt an: Welche Kriterien haben Konsument*innen, die dieses Produkt kaufen, und woher wissen sie, welcher Tofu ihren Kriterien entspricht? Der Fokus liegt auf der Frage nach dem inkorporierten Wissen der Konsument*innen, die für ihre Vorlieben auch weite Anfahrtswege in Kauf nehmen, aber auch der Marktbetreiber*innen, die sich mit ihrem Angebot auf individuelle Nachfragen einstellen.
Ökonomisierung
Stephan Lantow
Wissen über Authentizität in der Hiphop-Kultur
Seit 2007 bietet die Hamburger Hiphop Academy als städtisches Non-Profit Projekt Trainings in den verschiedenen Disziplinen der Hiphop-Kultur für Kinder und Jugendliche an. Kurse für Einsteiger*innen finden hamburgweit an über 30 Standorten kostenfrei statt, meist in Kooperation mit Schulen. Das Forschungsprojekt beschäftigt sich mit dem Thema „Authentizität“ als einem zentralen Bestandteil der Hiphop-Kultur. Auf der Basis von qualitativen Interviews, teilnehmenden Beobachtungen und Methoden der visuellen Anthropologie geht es der Frage nach, ob und wie „Authentizität“ als eine spezifische Form von „Echtheit“ und „Glaubwürdigkeit“ von den verschiedenen Akteur*innen in diesen Kursen gezielt produziert bzw. konstruiert werden kann. Im Mittelpunkt steht dabei das Wissen über die Bedeutung und den Einsatz spezifischer Codes, mittels derer das Lebensgefühl und die Identität als Hiphoper*in dargestellt und gelebt werden kann. Kleidung und die modische Inszenierung spielen hier ebenso eine große Rolle wie der Einsatz von Sprache. Der Körper wird so zu einem zentralen Medium, um die Leidenschaft für Hiphop zu generieren und zugleich auszuleben. Dabei stellt Pierre Bourdieus Perspektive auf den Habitus einen theoretischen Zugang dar, auf dessen Basis die kulturellen Codes des Forschungsfeldes identifiziert und eingeordnet werden sollen.
Tatjana Pinetzki
Organisierte Tierliebe: Das Katzencafé als ökonomisierter Begegnungsraum
Die Einrichtung von sogenannten Katzencafés ist ein relativ neues Phänomen in Deutschland und existiert seit 2017 auch in Hamburg. Forschungsfeld des Projektes ist das Café Katzentempel im Stadtteil Eimsbüttel. Akteure und Aktanten in diesem Feld sind die Inhaberin und das Servicepersonal, die Gäste und vor allem aber die Katzen, die sich diesen Raum teilen und auf der Basis von offen kommunizierten Regeln miteinander interagieren. Das Projekt untersucht mit den Methoden der Teilnehmenden Beobachtung und qualitativen Interviews die Interaktionen zwischen Mensch und Tier. Im Mittelpunkt stehen die Emotionen, die den Beziehungsaufbau der unterschiedlichen Akteur*innen zu und mit den Tieren und damit zugleich den Raum und das Forschungsfeld prägen. Geleitet wird das Projekt durch die These, dass diese Form der organisierten, regelgeleiteten Nähe zu Tieren Menschen die Möglichkeit bietet, angesichts der zunehmenden Entfremdung in der Gesellschaft und steigendem Leistungsdruck im Beruf, in der Schule oder Universität einen emotionalen Ausgleich zu schaffen. Eine der Fragen ist daher, inwieweit Katzencafés als kommerzielle Einrichtungen einen Begegnungsraum bieten, um Interaktionen und Emotionen jenseits eines familiären oder freundschaftlichen Umfeld zu ermöglichen.
Valentin Raczka
Das Wissen um den „guten“ Platz: Positionierungsstrategien von Straßenmagazinverkäufer*innen
Das Forschungsprojekt widmet sich den Verkäufer*innen des Hamburger Straßenmagazins Hinz&Kunzt und ihrer Arbeit an ihren jeweiligen festen Verkaufsplätzen. Dabei stehen Verkaufs- und Positionierungspraktiken im Zentrum des Interesses: Was macht einen „guten“ Platz aus? Was bedeutet der Verkauf an einem solchen Stammplatz, der nicht jedem/r Verkäufer*in von Anfang an zusteht, für die jeweilige Verkaufsstrategie? Wieviel symbolisches und zugleich ökonomisches Kapital ist mit dem Zugang zu diesem Raum verbunden, und wie etabliert man sich an einem solchen Stammplatz? Welche Vorteile ergeben sich aus einer solchen Etablierung z.B. für den Verkauf, aber auch mit Blick auf die Beziehungen zu und im jeweiligen sozialen Umfeld? Interviews mit einem der Verkäufer, Go-Alongs und teilnehmende Beobachtungen geben dabei exemplarisch einen Einblick in die Wahrnehmung des Verkaufsplatzes durch die Akteure und machen die verschiedenen Praktiken an diesen Orten sichtbar.
Körper, Subjektivierung und Identität
Josina Andrä
Was bringt die Menschen auf die Straße? Fridays for Future und die Rolle von Emotionen für Protestbewegungen
Am 14. Dezember 2018 kamen in Hamburg erstmals 50 Schüler*innen und Aktivist*Innen in Hamburg zum „Klimastreik“ zusammen, um sich bei Fridays for Future für die Umwelt einzusetzen. Inzwischen wird europaweit jeden Freitag für den Klimaschutz und eine bessere Klimapolitik demonstriert. Das Forschungsprojekt beschäftigt sich am Beispiel der Hamburger Aktivitäten von Fridays for Future mit dieser politischen Protestbewegung und ihren Akteur*innen. Dabei geht es vor allem um die Emotionen der Teilnehmer*innen an den Demonstrationen und die Atmosphären während der Veranstaltungen. Untersucht werden soll, wie sich die Akteur*innen an der Bewegung beteiligen und was jeweils die Auslöser dafür sind. Folgende Fragen sind forschungsleitend: Welche Ziele und Inhalte verfolgen die Demonstrationen, und welche Rolle spielt der Körper bei den Akteur*innen für die Wahrnehmung und Vermittlung von Gefühlen? Methodisch beruht die Arbeit auf narrativen Interviews, teilnehmenden Beobachtungen und informellen Gesprächen.
Robin Irmak
Identität und Körperpraxis: Wissensraum „Fitnessstudio“
Das Fitnessstudio ist für immer mehr Menschen der zentrale Raum, wo sie in ihrem Alltag Sport treiben. Dabei nutzen längst nicht mehr nur klassische Kraftsportler*innen und Bodybuilder*innen diese Räume, sondern auch Menschen mit ganz anderen Intentionen als Muskelaufbau und Körpermodellierung. Das Projekt geht der Frage nach, welche Bedeutung das Training für die Identitätsproduktion der Besucher*innen hat: Wie lässt sich Körperfitness als Praktik der Subjektivierung verstehen? Inwieweit lassen sich die Trainingshandlungen auch als performative Akte untersuchen? Die Forschung basiert auf Interviews und einem autoethnographischen Zugang: Ausgehend vom eigenen Training im Fitnessstudio werde ich mich mit dem Alltag der Akteur*innen innerhalb und außerhalb dieses gebauten Raumes beschäftigen.
Gerlus Ismailaj
Wissensraum Tankstelle – Zwischenstopp oder Teil der Identität?
Eine Tankstelle wird meist als Ort wahrgenommen, an dem sich unterschiedliche Wege kreuzen. Tankstellen vermitteln den Eindruck eines Transitraumes, den die Menschen nach einem Versorgungs-Stopp wieder verlassen. Am Beispiel einer Hamburger Tankstelle wird jedoch deutlich, dass dieser Raum vielfältige Innenperspektiven hat. Eine Vielzahl von Menschen arbeitet hier in unterschiedlichen Arbeitsverhältnissen, die häufig nur als vorübergehende Tätigkeiten wahrgenommen werden. Der Arbeitsplatz bietet Raum für verschiedene soziale Identitäten und wird von den Biographien der Akteur*innen geprägt. Die forschungsleitende Frage lautet: Ist ein solcher „Job“ in der Tankstelle eine lebensgeschichtliche Übergangsphase, oder wird er Teil der Identität der Akteur*innen, die an diesem Arbeitsort verankert sind und möglicherweise bleiben? Zu diesem Zweck untersuche ich deren Lebensgeschichten und Narrative. Dabei wird deutlich, dass eine Tankstelle nicht nur ein kommerzieller Ort ist, sondern durch die Arbeitsabläufe und Arbeitspraktiken ein Raum der Wissensvermittlung. Die Forschung basiert auf teilnehmenden Beobachtungen und lebensgeschichtlichen Interviews.
Curly Sue Glander
Professionalisierungsstrategien von Self-Publisher*innen
Die Digitalisierung verändert viele Lebens- und Arbeitsbereiche. Auch die Buchbranche ist davon betroffen. So steigt das Angebot der eBooks seit 2011 kontinuierlich an. Damit verändert sich zum einen das Konsumverhalten der Leser*innen, die Belletristik nun vermehrt digital rezipieren. Zum anderen eröffnet diese Entwicklung zugleich für potenzielle Autor*innen ein neues Marktsegment. Digitale Techniken ermöglichen es ihnen, Bücher im Selbstverlag zu produzieren und verlagsunabhängig zu publizieren. Der Markt des „Self-Publishing“ im belletristischen Bereich ist in Bewegung. Im Zentrum der Arbeit stehen Fragen nach den Bedingungen dieser Arbeitsweisen: Wie sieht der Arbeitsalltag von Autor*innen aus, die Bücher digital produzieren und auf den Markt bringen? Welches Wissen und welche Arbeitspraktiken erweisen sich hier als wichtig, um ökonomisch erfolgreich zu sein? Die These ist, dass hier ein Wandel hin zu steigender Professionalisierung stattfindet und gleichzeitig die Unabhängigkeit von Entscheidungsprozessen zunimmt. Welche Veränderungen bringt dies mit sich? Diesen Fragen nähere ich mich mit teilnehmenden Beobachtungen, narrativen (Expert*innen-)Interviews und einem begleitenden „work-along“ von Arbeitsabläufen.
Diskurse
Nele Heimann
Der (un-)verpackte Alltag: Vom neuen Umgang mit der Plastiktüte
In der aktuellen Debatte über Indikatoren für die sichtbaren Folgen der Umweltverschmutzung steht (Mikro-)Plastik mit an erster Stelle. Während dieser universelle und scheinbar unverwüstliche Werkstoff weiterhin in vielen Bereichen des Alltags eingesetzt wird, haben sich doch die Diskurse und Umgangsweisen damit gewandelt: So haben das differenzierte Wissen und die mediale Auseinandersetzung über Klimaveränderungen und Umweltschutz zu einer steigenden ‚Nicht-Akzeptanz‘ bzw. deutlichen Ablehnung geführt. Immer mehr Menschen versuchen gerade mit Blick auf Wegwerfprodukte ihr Konsumverhalten zu ändern und z.B. bei Verpackungen von Lebensmitteln, Haushaltsprodukten und anderen Dingen des täglichen Lebens auf Plastik zu verzichten. Das Forschungsprojekt wird auf der Basis von Interviews und informellen Gesprächen sowie teilnehmender Beobachtung den emotional aufgeladenen Umgang der Verbraucher*innen mit diesem Material in den Blick nehmen sowie am Beispiel der Plastiktüte den Mediendiskurs analysieren.
Tina Staszewski
Wissen macht Expert*innen: Der Diskurs über Cannabislegalisierung
Immer mehr Staaten legalisieren den Anbau, Besitz, Verkauf und Konsum von Cannabis, während in Deutschland bisher nur der private Konsum nicht strafrechtlich verfolgt wird. Doch die Stimmen für eine Legalisierung werden auch hierzulande immer lauter. Wer sind die Akteur*innen, die sich an diesem emotional aufgeladenen Diskurs beteiligen, und welche Argumente führen sowohl die Befürworter*innen einer Freigabe als auch ihre Gegner*innen an? Wie verorten und begründen sie ihr Wissen und damit ihre Berechtigung, an diesem Diskurs über die Legalisierung teilzunehmen? Wie werden juristische und medizinische Aspekte in der Debatte verhandelt, und wie diskutieren die beteiligten Akteur*innen aus ihrer Perspektive Fragen von Identität und Lebensstil? Anhand von teilnehmenden Beobachtungen auf Veranstaltungen wie z.B. der Hanf-Messe „Mary Jane Berlin“, deren Organisator*innen die Legalisierung befürworten, und Interviews, u.a. mit dem Geschäftsführer des Deutschen Hanfverbandes, wird der Diskurs über die Legalisierung von Cannabis in Deutschland analysiert.
Laura Völz
Vom Feuchttuch zum Waschlappen: Wissensraum Hygienepraxis
Der Fokus des Forschungsprojekts liegt auf der Frage nach dem Wissen über Hygiene und dem Umgang mit spezifischen Hygienepraktiken in Kindertagesstätten. Von besonderem Interesse ist der Aspekt, welchen normativen Status Hygiene innerhalb dieser Institution einnimmt und wie sich der Diskurs über Hygiene materialisiert. Dabei geht es vor allem darum, welches Wissen auf Seiten der Akteur*innen besteht bzw. angeeignet werden muss und wie dieses Wissen bei materiellen, personellen und technischen Veränderungen im Feld ausgehandelt wird. Konkreter Ausgangspunkt ist der Wechsel von Feuchttüchern hin zu Waschlappen als Teil eines Nachhaltigkeitsbestrebens in einer Kindertagesstätte für ein- bis dreijährige Kinder in Hamburg. Diese Neuorganisation von Arbeitsroutinen hatte eine Debatte über die Einhaltung und Umsetzung von Hygienevorstellungen angestoßen. Insbesondere der Schutzauftrag gegenüber den Kindern stellt hier eine zentrale Dimension dar, die zeigt, welche Relevanz das Wissen über Hygiene in diesem Feld besitzt. Das Forschungsmaterial beruht hauptsächlich auf Interviews und teilnehmenden Beobachtungen, die die Aushandlungen im Arbeitsalltag und den Umgang mit den Dingen in den Fokus nehmen. Darüber hinaus werden Hygienerichtlinien und aktuelle gesellschaftliche Hygienenormen als Teil eines gesellschaftlichen Diskurses berücksichtigt.