Geophysikalische Prospektionen – ein Forschungs- und Lehrschwerpunkt in Hamburg
Geophysikalische Prospektionen – ein Forschungs- und Lehrschwerpunkt in Hamburg
Im Bereich der archäologischen Feldforschung besitzt die Archäologie und Kulturgeschichte des antiken Mittelmeerraumes (Fach Klassische Archäologie) einen Forschungs- und Lehrschwerpunkt in der Anwendung nicht-invasiver Prospektionsmethoden, hier besonders in der geophysikalischen Prospektion. Für die Untersuchungen stehen aktuell folgende Geräte zur Verfügung: ein Fluxgate-Magnetometer (Geoscan FM 256), zwei Sensys 5-Kanal Systeme ("MAGNETO®-ARCH","MAGNETO®-MXPDA"), ein Georadar (GSSI SIR-3000 GPR); vier Vermessungsgeräte (Leica TCR 407, Leica TS 06), zwei GPS-Geräte (LEICA GS10 und LEICA GS25, Magellan ProMark 3 Differential GPS), zwei 3-D-Laserscanner (ILRIS Optech 3-D-Laserscanner; FARO 3-D-Laserscanner) sowie mehrere Fotoausrüstungen zur Befund- und Funddokumentation (Nikon D700 plus Zubehör, Nikon D 5300).
In einem ersten Arbeitsschritt wurde die Anwendung der Geräte und der zugehörigen Software erprobt und ein Workflow (insbesondere Vermessung, Georeferenzierung von Luft- und Satellitenaufnahmen, Erzeugung und Verarbeitung von Rohdaten, Visualisierung der Ergebnisse) ausgearbeitet. Auf Grundlage der Zusammenarbeit mit dem Landschaftsverband Rheinland und Archäologischem Park Xanten erfolgten in einem zweiten Arbeitsschritt die Entwicklung eines Forschungsdesigns im Rahmen der Magisterarbeit von Nikola Babucic und die Erstellung von Merkmalskatalogen für die Interpretation der Daten. Unterstützt wurden die Arbeiten durch die Bodendenkmalpflege in Hamburg und die Institute für Angewandte Geophysik der CAU Kiel und der Universität Hamburg.
Mit einem festen Kern von Mitarbeiter/innen (Sebastian Adlung, Michael Antonakis, Nikola Babucic, Jacobus Bracker, Nicola Daumann (bis 2015), Thomas Fuchs (bis 2015), Lilian Schönheit, Fabian Schwenn, Lioba Tempel, Nils Thiele, Leitung: Martina Seifert) werden die Geräte seit 2011 in mehreren Feldforschungsprojekten und in der Lehre eingesetzt. Als wichtiges Ausbildungsformat entstanden die jährlich durchgeführten Fieldschools (z.B. Xanten, Lilybaeum), in denen Studierenden in den höheren B.A. und in den ersten M.A. Semestern der Umgang mit den Geräten und die Interpretation der Ergebnisse vermittelt werden.
Publikationsorgan:
Gateways. Hamburger Beiträge zur Archäologie und Kulturgeschichte des antiken Mittelmeerraumes
2017 werden mit Band fünf der Zeitschrift „Gateways“ (Herausgeber: Martina Seifert und Leon Ziemer) die Ergebnisse der geophysikalischen Prospektionen der vergangenen Jahre publiziert. Zur Website der Zeitschrift.
Projekte:
Lilybaeum/Italien. Grundlagen der Stadtentwicklung.
Zusammenfassung: Die westsizilische Hafenstadt Lilybaeum war während der Punischen Kriege ein bedeutender militärischer Stützpunkt mit Brückenkopffunktion nach Nordafrika für Karthager und Römer und galt in römischer Zeit lange als prosperierende Handelsstadt. Die archäologischen Hinterlassenschaften sind heute durch Ausgrabungen nur teilweise erfasst: Zu den gut erhaltenen Befunden zählen die Befestigungsanlagen und die punischen Nekropolen im heutigen Stadtgebiet von Marsala. Im Archäologischen Park deckten Ausgrabungen den sog. decumanus maximus mit einigen spätantiken Gräbern sowie Teile der Insulabebauung auf, darunter die sog. villa romana auf Kap Boeo. Sondagen in der Zona mura und geophysikalische Prospektionen erbrachten Hinweise auf weitere römisch-spätantike Wegeführungen und nicht interpretierte Baustrukturen; eine topographische Gesamtaufnahme des Geländes als Grundlage für weitere Forschungen zur Stadtentwicklung steht aber bis heute aus. Ziel des beantragten Vorhabens ist daher eine Kartierung sämtlicher noch erhaltener und obertägig sichtbarer Befunde im Archäologischen Park von Marsala und eine Zusammenführung digitaler und analoger Daten (Projektleitung: Martina Seifert).
Zusammenfassung: Die Fundplätze Los Bañales und Campo Real befinden sich im Teilbereich der autonomen Region von Aragon im Nordosten Spaniens zwischen Pamplona und Saragossa.
Der durch eine Reihe von Ausgrabungen untersuchte Siedlungsplatz Los Bañales umfasst neben einem ›Siedlungshügel‹, ein Forum, ein ›Thermengebäude‹, eine Nekropole sowie ein Aquädukt. Diese Gebäudestrukturen wurden neben der Fundverteilung unterschiedlichen Materials und den schriftlichen Zeugnissen als Grundlage der Hypothese vorgelegt, dass es sich bei Los Bañales um ein seit dem 2. Jh. v. Chr. ca. 20 ha großes Siedlungsareal handelt. Das Ziel der Prospektionskampagnen bestand in der räumlichen Erfassung dieses antiken Siedlungsgebietes sowie der Feststellung der städtebaulichen Organisation mittels der Anwendung von Geomagnetik und Georadar. Die Ergebnisse der Prospektionskampagnen von 2012–2015 konnten die Hypothese dahingehend erweitern, dass sich das Siedlungsareal wohlmöglich deutlich nach Süden ausdehnt.
Der ca. 50 km nördlich von Los Bañales situierte Fundplatz Campo Real – ebenso frei von rezenter Bebauung – weist hingegen ein andersartiges Bild auf. Durch Oberflächenbegehungen, vereinzelte Grabungsschnitte und Luftbildaufnahmen wurden Hinweise über weitreichende Besiedlungsaktivität – auch in römischer Phase – vorgelegt. Die Auswertung der Prospektionsergebnisse von Campo Real zeigt, dass das Siedlungsareal durch eine Vielzahl an archäologischen Strukturen charakterisiert werden kann, und deutlich weiter verlief als bisher durch das obertägig sichtbare Fundmaterial vorgegeben.
Die geophysikalischen Prospektionsmethoden konnten in den zurückliegenden Kampagnen an beiden Fundplätzen Anhaltspunkte vorlegen, dass die bis dato bekannten Siedlungsareale deutlich erweitert werden können.
Myndos/Türkei - eine karische Hafenstadt an der kleinasiatischen Westküste.
Zusammenfassung: Die Hafenstadt Myndos (heute: Gümüşlük, Distrikt Muğla) liegt an einer geschützten Bucht in der Region Bodrum an der kleinasiatischen S/W-Küste und zählt zu den sechs, im Zuge des Synoikismos unter Maussollos von Halikarnassos neugegründeten Stadtanlagen spätklassischer Zeit. Die moderne Bebauung von Gümüşlük bedeckt momentan schätzungsweise mehr als ein Drittel der antiken Siedlungsfläche. Die obertägig erkennbaren archäologischen Zeugnisse auf den derzeit unbebauten Arealen datieren überwiegend in römische und byzantinische Zeit. Rezente landwirtschaftliche Nutzung und private Grundeigentumsverhältnisse schränken eine flächendeckende invasive wissenschaftliche Untersuchung des Geländes ein. Die Arbeitsaufgabe des türkisch-deutschen Vorhabens besteht in der topographischen Geländeaufnahme und Klärung der städtebaulichen Situation der antiken Hafenstadt und ihrer unmittelbaren Umgebung (Projektleitung: Martina Seifert).
Zusammenfassung: Das antike Paphos mit seinen materiellen Hinterlassenschaften wurde im November 2010 von dem World Heritage Committee der UNESCO Kommission in die Liste der schützenswerten Kulturdenkmäler aufgenommen. In Anbetracht der herausragenden Bedeutung des Ortes ist die (Re)konstruktion des antiken Stadtbildes ein vorrangiges Forschungsziel. Seit 2011 führt das PAPHOS AGORA PROJECT der Jagiellonian Universität Krakau Untersuchungen zur Stadtentwicklung und speziell zur Lokalisierung und Beschaffenheit der hellenistisch-römischen Agora durch. Auf Einladung von Ewdoksia Papuci-Wladyka fokussiert sich das aus diesem Kontext heraus geplante Prospektionsprojekt auf die Erfassung archäologischer Strukturen im gesamten Gebiet des Archäologischen Parks und seiner angrenzenden Nordwestküste. Neben einer Merkmalsbestimmung und Kartierung der Befunde liegt ein besonderes Augenmerk auf der Erforschung von Infrastrukturen wie z.B. Marktplätzen (agorai, macella), Portiken, Häfen, Werften, Lagerräumen sowie Gewerbe- und Produktionsstätten und dient einer vorläufigen Beschreibung des wirtschaftlichen Potentials der Stadt. Die erhobenen Daten zur räumlichen Ausdehnung und wirtschaftlichen Struktur der Stadt mit ihren Häfen stellen einen wichtigen Ausgangspunkt für zukünftige Untersuchungen in Nea Paphos dar – vor allem auch mit Blick auf Paphos als Europäische Kulturhauptstadt 2017 (Projektleitung: Martina Seifert).
Zusammenfassung: Die Villa Otrang (heute: bei Fließem / Rheinland-Pfalz) liegt an der Römerstraße von Trier nach Köln (heute B 51) und ist eine der am besten erhaltenen villae rusticae nördlich der Alpen. Der Bau wurde wahrscheinlich im 1. Jahrhundert n. Chr. angelegt und ist nach den teilweise hervorragend erhaltenen Mosaiken und Bauerweiterungen bis in das 5. Jahrhundert n. Chr. genutzt worden. Das Haupthaus der villa und der westlich gelegene Wirtschaftshof (pars rustica) sowie zwei kleinere Tempelanlagen auf der gegenüberliegenden Talseite wurden bereits im 19. Jahrhundert entdeckt. Über dem eigentlichen Villentrakt befinden sich heute denkmalgeschützte, erneuerungswürdige Schutzbauten und die Inwertsetzung der Anlage für die touristische Nutzung ist seit längerem ein Desideratum. In Auftrag der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz fanden daher in der pars rustica zunächst von 2009-2013 Ausgrabungsarbeiten durch die Universität Trier statt. Parallel hierzu wurden durch die Klassische Archäologie 2012-2014 geophysikalische Untersuchungen mit der Geomagnetik und dem Georadar durchgeführt. Die Ergebnisse erlauben nun in Ergänzung zu den Ausgrabungsergebnissen die klare Rekonstruktion der baulichen Binnendifferenzierung und Infrastrukturen des Wirtschaftstraktes der Villa von Otrang.
Zusammenfassung: Die Colonia Ulpia Traiana (CUT, heute: Xanten / Nordrheinwestfalen) liegt am Niederrhein nahe der niederländischen Grenze. Die antike Siedlung erhielt unter Kaiser Traian um 100 n. Chr. als zweite und letzte civitas der Germania inferior die Rechte einer colonia und war als zentraler Ort im römischen Reich ein wichtiger Verteidigungs- und Brückenkopf für Expeditionen in die rechtsrheinischen Gebiete. Der Archäologische Park Xanten (APX) umfasst mit ca. 70 ha Fläche ungefähr 95% der ehemaligen colonia und wird vom Landschaftsverband Rheinland betrieben. Seit 2013 führt die Klassische Archäologie der Universität Hamburg auf Einladung von Martin Müller geophysikalische Prospektionen mit der Geomagnetik und dem Georadar auf dem Gelände der CUT durch. Die Untersuchungen sind als Fieldschool angelegt, in der die Studierenden einen Einblick in die praktische Feldforschung erhalten. Das Ziel besteht neben der topographischen Erfassung der CUT und der Binnengliederung ihrer insulae in der Überprüfung der Aussagefähigkeit geophysikalischer Methoden, nach Art einer heuristischen Analyse, durch den Informationsaustausch unterschiedlicher Verfahren und durch Hinzunahme von historischen Quellen, um auf diese Weise eine ortsbezogene Wahrscheinlichkeit für Interpretationen aufzustellen.
Weitere Publikationen (in Auswahl):
Mandruzzato, A. - A. Mistretta - M. Seifert, Note di archeologia lilibetana. Un primo bilancio sulle indagini della missione archeologica delle Università di Palermo e di Amburgo", in: Mare Internum. Archeologia e culture del Mediterraneo, 6, 2014 (2016) – im Druck.
Antonakis, M. – N. Babucic – M. Seifert, Testing Methods: preliminary results of the geophysical campaign at Paphos 2015, in: E. Papuci-Władyka - A. Dobosz (Hrsg.), In the heart of the ancient city. Five years of Krakow archaeologists’ research at the Paphos Agora on Cyprus (2011-2015), International Symposium and Exhibition of Photographs by Robert Slabonski, 21-22 January 2016 (2016) 60-62.
Şahin, M. – M: Seifert, Myndos, eine Hafenstadt an der karischen Westküste, AW 6/2014, 46-56.
Mandruzzato, A. – M. Seifert, Ceramica da cucina dalla „zona mura“ a Marsala. Le importazioni africane, ReiCretariaeRomanaeFautorum Acta 45, 2014, 573-580.
Seifert M., Antonakis, M., Babucic N., NON-INVASIV MAGNETIC RESEARCH IN 2015 AND ITS RESULTS in E. Papuci-Władyka (ed.), PAPHOS AGORA PROJECT (PAP) 1. The Results of the Jagiellonian University Interdisciplinary Research in Nea Paphos (2011-2015), Historia Iagiellonica, Kraków 2017.
Abschlussarbeiten (in Auswahl):
Nikola Babucic, 2015 (Magisterarbeit abgeschlossen; Thema: Geophysikalische Prospektionen in der Colonia Ulpia Traiana, Xanten)
Außerdem:
Fabian Schwenn, 2018 (Masterarbeit abgeschlossen; Thema: Geophysikalische Prospektionen im römischen Rivenich).