PODCAST Zwischen Pinsel & Pranger
Zwischen Pinsel und Pranger - Ein Podcast über Kunst und Moral im Italien der Frühen Neuzeit
„Zwischen Pinsel und Pranger“ ist ein Lehrprojekt des Kunstgeschichtlichen Seminars der Universität Hamburg unter der Leitung von Dr. Jana Graul
Worum geht's?
„Zwischen Pinsel und Pranger“ handelt von der künstlerischen Freiheit und ihren Grenzen im Italien des 15. bis 17. Jahrhunderts. In acht Folgen werden erfolgreiche Künstler*innen vorgestellt, die sich nicht an die Regeln hielten und deren Lebenswandel oder Tun mit den Moralvorstellungen ihrer Zeit kollidierte, z.B. weil sie Geschlechterbilder hinterfragten, provozierten, spielsüchtig waren, neidisch, aggressiv, leidenschaftlich, gewalttätig, dem Alkoholkonsum zugeneigt oder schlichtweg, weil sie sich das Leben nahmen. Jede Folge behandelt eine:n Künstler: in und ein Vergehen. Es wird beleuchtet, wo genau seinerzeit überhaupt jeweils die Grenzen des moralisch Erlaubten lagen und wie streng man bei ihrer Überschreitung mit Künstler*innen umging. Traten Moralversagen und Kunstschaffen in Beziehung? Und wie sah man das damals: lassen sich Werk und Künstler*in trennen?
Teaser
Ein besonderes Highlight des Wissenschaftspodcasts sind Interviews mit renommierten Expertinnen und Experten, die die Folgenthemen einordnen sowie Originalzitate, die das Denken im Italien der Frühen Neuzeit nahebringen. Außerdem wurden einzelne Folgen durch eigens für uns vom Miskatonic Thematerensemble eingespielte Hörspielelemente bereichert (allen Beteiligten gilt hierfür unser großer Dank!).
Der Podcast erscheint 14-tägig auf dem Wissenschaftsportal der Gerda-Henkel-Stiftung L.I.S.A. Er ist jetzt unter https://lisa.gerda-henkel-stiftung.de/podcastreihe_zwischen_pinsel_und_pranger zu finden und in Kürze auch auf dieser Website sowie überall, wo es Podcasts gibt.
Idee und Konzept des Podcasts stammen von Dr. Jana Graul, zusammen mit den Studierenden Annett Beyer, Vincent Ellmers, Annika Hüther, Joana Laura Noack, Tobias Techen, Darius Wakilzadeh, Joachim H. Weihe und Katrin Lieselotte Witt.
Das Lehrprojekt wurde sehr engagiert durch Dr. Mirjam Schubert vom Schreibzentrum der Universität Hamburg und Paul Voigt, Technischer Leiter des Medienzentrums der Fachbereiche Sprache, Literatur, Medien I + II begleitet.
Unterstützt und gefördert von
Credits:
Wissenschaftliche Betreuung und Redaktion: Dr. Jana Graul
Technische Betreuung: Vincent Ellmers und Paul Voigt
Ton, Technik und Schnitt: Vincent Ellmers, Sven Remer und Paul Voigt sowie die Autorinnen und Autoren der einzelnen Folgen
Grafik: Darius Wakilzadeh
Wissenschaftsjournalistische Beratung bzw. Trainings: Georgios Chatzoudis und Christiane Zwick
Konzept und Herstellung Teaser: Vincent Ellmers und Annika Hüther
Sprecher Intro: Vincent Ellmers
Musik Intro: Tobias Hume (1569-1645), A Merry Meeting. Stefano Zanobini, Viola d’Amore. Mit freundlicher Genehmigung von NovAntiqua Records. Album verfügbar auf: https://www.novantiqua.net/prodotto/A-Question-an-Answer
Folge 1
Frech & Frevelhaft. Der selbsternannte „Sodomit“ Giovanni Antonio Bazzi
Zwischen Pinsel und Pranger | Ein Podcast über Kunst und Moral im Italien der Frühen Neuzeit
Ein Künstler, der sich selbst „der Sodomit“ nennt – ausgerechnet in der italienischen Renaissance? Was wie ein Skandal klingt, war tatsächlich ein Statement – provokant, verspielt und queer? Giovanni Antonio Bazzi, genannt Il Sodoma, war ein Meister der Selbstinszenierung. Zwischen Pferderennen, Fresken und tierischen Begleitern hinterfragt er mit Witz und Stil gängige Männlichkeitsbilder. Dies bleibt allerdings nicht ohne Kritik. Vor allem der Künstlerbiograph Vasari hat zu Sodomas Lebensweise und deshalb auch zu seiner Kunst eine klare Meinung. Diese Folge taucht ein in die Welt der italienischen Hochrenaissance, wo gleichgeschlechtliches Begehren sichtbar – und zugleich verfolgt – war.
Kurzbiographie des Künstlers
Giovanni Antonio Bazzi wurde um 1477 in Vercelli geboren. Seine künstlerische Ausbildung erhielt er vermutlich in der lombardischen Schule, bevor er um 1501 nach Siena übersiedelte. Dort etablierte er sich rasch als einer der führenden Maler der Region. Ab 1508 war er in Rom tätig, wo er unter anderem an der Ausmalung der Villa Farnesina mitwirkte und Aufträge im Vatikan erhielt. Zu seinen bedeutendsten Werken zählen die Fresken im Kloster Monte Oliveto Maggiore in Asciano (1497-1506), in der Villa Farnesina in Rom (1519) sowie in der Kirche San Francesco in Siena (1510). Bazzi wurde 1515 von Papst Leo X. zum Ritter geschlagen. In der Folge war er überwiegend in Siena tätig, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1549 eine produktive Werkstatt führte. Sein künstlerisches Œuvre umfasst religiöse wie mythologische Themen und ist geprägt von Einflüssen der oberitalienischen und römischen Hochrenaissance. Der Beiname Il Sodoma, unter dem er bereits zu Lebzeiten bekannt war, ist historisch belegt; seine Herkunft und Bedeutung in der zeitgenössischen Wahrnehmung sind jedoch umstritten.
Weiterführende Literatur
- Bartalini, Roberto, Alessia Zombardo: Giovanni Antonio Bazzi, il Sodoma: fonti documentarie e letterarie, Vercelli 2012.
- Lemelsen, Katja: „Einleitung zum Leben des Sodoma“ in: Giorgio Vasari. Sodoma und Beccafumi. Neu übersetzt und kommentiert, hrsg. v. Sabine Feser/Matteo Burioni/Katja Lemelsen, Berlin 2006, S. 7‑10.
- Lemelsen, Katja: „Anmerkungen zum Leben des Sodoma“ in: Giorgio Vasari. Sodoma und Beccafumi. Neu übersetzt und kommentiert, hrsg. v. Sabine Feser/Matteo Burioni/Katja Lemelsen, Berlin 2006, S. 75‑97.
- Klinkert, Thomas: „Gleichgeschlechtliche Liebe ׀ Sodomie“, in: Liebessemantik: frühneuzeitliche Darstellungen von Liebe in Italien und Frankreich, hrsg. v. Kirstin Dickhaut, Wiesbaden 2014, S. 477‑516.
- Kondziella, Martha: Sodoma: die Tafel- und Leinwandbilder, Merzhausen 2023.
- Pfisterer, Ulrich: Lysippus und seine Freunde: Liebesgaben und Gedächtnis im Rom der Renaissance oder Das erste Jahrhundert der Medaille, Berlin 2008.
- Saslow, James M.: „Gianantonio Bazzi, called ‘il Sodoma’. Homosexuality in art, life and history”, in: Sex, Gender and Sexuality in Renaissance Italy, hrsg. v. Jacqueline Murray/Nicholas Terpstra, London/New York 2019, S. 183‑210.
Quellen
- Giorgio Vasari: Le vite dei più eccellenti pittori, scultori e architetti (1550/1568), hrsg. v. Rosanna Bettarini/Paola Barocchi, Florenz 1966‑1997.
- Giorgio Vasari: „Das Leben des Malers Giovan Antonio, genannt Sodoma aus Vercelli“ in: Giorgio Vasari. Sodoma und Beccafumi. Neu übersetzt und kommentiert, hrsg. v. Sabine Feser/Matteo Burioni/Katja Lemelsen, Berlin 2006, S. 11‑42.
- Accademia della Crusca „Somddomia“ in: Vocabolario degli Accademici della Crusca, Florenz, 1691, S. 1542.
- Roberto Bartalini, Alessia Zombardo: Giovanni Antonio Bazzi: il Sodoma: fonti documentarie e letterarie, Vercelli 2012.
Experte
Dr. Nicolas Maniu ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Museum Brandhorst in München. Sein Forschungsfeld ist die queere Kunstgeschichte mit Fokus auf Männlichkeitsbilder, Bildpolitik der Frühen Neuzeit, Geschlechtertheorie, Sexualitätsdiskurse und visuelle Repräsentationen. Er ist Autor des Buches Queere Männlichkeiten: Bilderwelten männlich-männlichen Begehrens und queerer Geschlechtlichkeit, Bielefeld 2023.
Credits
Autorin der Folge: Annika Hüther (annika.huether"AT"uni-hamburg.de)
Redaktion, wissenschaftliche Betreuung und Lektorat: Dr. Jana Graul
Sprecherinnen und Sprecher: Annika Hüther (Sprecherin), Dr. Nicolas Maniu (Experte), Joachim Weihe (Vasari deutsch), Stefano Zanobini (Vasari italienisch), Vincent Nicholas Ellmers (Hörspielelemente), Giuseppe Rossi (Definition Crusca)
Hörspielelemente: Miskatonic Theaterensemble
Schnitt und Sound: Vincent Ellmers
Musik: Tobias Hume (1569-1645), A Merry Meeting. Stefano Zanobini, Viola d’Amore. Mit freundlicher Genehmigung von NovAntiqua Records. Album verfügbar...
Ton: Travel with the strings, younoise, pixabay
Grafik: Darius Wakilzadeh
Folge 2
Eine Frage der Ehre: Der Selbstmord des Malers Rosso Fiorentino
Paris, 1540: Auf der Höhe seines Ruhmes nimmt sich der Maler Rosso Fiorentino das Leben. Suizid ist zu dieser Zeit aus Sicht der Kirche eine Todsünde und die Leichname von Selbstmör-dern werden geschändet. Doch für Rossos Seele wird wenige Tage nach seinem Tod eine heili-ge Messe in der Kathedrale Notre Dame abgehalten. Warum nimmt sich ein aus ärmlichen Verhältnissen stammender Maler das Leben, obwohl er sich als Hofkünstler des französischen Königs Franz I. künstlerischen Ruhm und finanziellen Erfolg erarbeitet hat? Und warum wird sein Selbstmord nicht als Todsünde geahndet?
Kurzbiographie des Künstlers
Rosso Fiorentino, eigentlich Giovanni Battista di Jacopo di Guasparre, geboren am 8. März 1495 in Florenz, war ein italienischer Maler. Sein Künstlername spielt auf Rossos rote Haarfarbe und seine Florentiner Herkunft an. In Florenz erfolgte auch seine Ausbildung bei Andrea del Sarto, der ebenfalls der Lehrmeister von Rossos Freund und späteren Biographen Giorgio Vasari war. Bis auf wenige Ausnahmen war Rosso bis 1523 in seiner Heimatstadt tätig, um ab 1524 in Rom die Werke Michelangelos und der Antike zu studieren.
Nach der Plünderung Roms durch die Truppen Karl V. im Jahr 1527, die Rosso dazu zwang, die Stadt zu verlassen, arbeitete er in Perugia, Sansepolcro, Città di Castello, Arezzo sowie Venedig und folgte schließlich der Einladung des französischen Königs Franz I. an dessen Hof in Fontainebleau. Dort wurde Rosso die Leitung sämtlicher Dekorationsarbeiten übertragen – eine Aufgabe, die ihm künstlerischen Ruhm, Einfluss und die privilegierte Stellung als Hofkünstler einbrachte. Als Hauptwerk gilt Rossos Ausstattung der Galerie Franz I. im Schloss Fontainebleau, die er zwischen 1531 und 1540 schuf. Am 14. November 1540 starb Rosso Fiorentino in Paris, mutmaßlich durch Suizid.
Links zu besprochenen Werken
Rosso Fiorentino: Studie einer männlichen Figur (Empedokles und/oder Der heilige Rochus), ca. 1539–1540, Rötel auf Papier, 25,1 × 14,8 cm, The J. Paul Getty Museum, Los Angeles, LINK
René Boyvin nach Rosso Fiorentino: Empedokles, ca. 1545–1563, Kupferstich, 26,5 x 16,5 cm, The Metropolitan Museum of Art, New York, LINK
Weiterführende Literatur
- Ciardi, Roberto Paolo, Alberto Mugnaini: Rosso Fiorentino: Catalogo completo dei dipinti, Florenz 1991.
- Cordellier, Dominique: „Rosso Fiorentino, l’homme vu par Giorgio Vasari“, in: Rosso Fiorentino. Ritorno in Francia. Retour en France, hrsg. v. Monica Bietti, Florenz/Paris 2014, S. 70-74.
- Kucher, Miriam: Selbst aus dem Leben gehen. Wertungen des Suizids im Wandel der Zeit. Ansätze aus den Bereichen Philosophie, Soziologie, Psychologie und Pädagogik, Diplomarbeit, Klagenfurt, 2013.
- Minois, Georges: History of Suicide: Voluntary Death in Western Culture, Baltimore 2001.
- Schrodi-Grimm, Renate: Die Selbstmörderin als Tugendheldin. Ein frühneuzeitliches Bildmotiv und seine Rezeptionsgeschichte, Dissertation, Georg-August-Universität Göttingen, 2009
- Vasari, Giorgio: Das Leben des Rosso Fiorentino, hrsg. v. Sabine Feser, Berlin 2004.
- Waldman, Louis Alexander: „The Origins and Family of Rosso Fiorentino“, in: The Burlington Magazine, 142 (Oktober 2000), S. 607-612.
- Wittkower, Margot und Rudolf: Künstler – Außenseiter der Gesellschaft, Stuttgart 1989, S. 149-165.
Quellen
- Guicciardini, Francesco: „Ob es lobenswert ist oder nicht, sich selbst umzubringen, um die Freiheit nicht zu verlieren oder das Vaterland nicht in Knechtschaft sinken zu sehen, und ob es ein Zeichen von Geistesgröße oder von Feigheit ist“, in: Welt der Renaissance, hrsg. v. Tobias Roth, Berlin 2020, S. 469-476.
- Vasari, Giorgio: Le vite dei più eccellenti pittori, scultori e architetti (1550/1568), hrsg. v. Rosanna Bettarini/Paola Barocchi, Florenz 1966-1997.
- Vasari, Giorgio: Das Leben des Rosso Fiorentino, hrsg. v. Sabine Feser, Berlin 2004.
Expertinnen und Experten
Prof. Dr. Dr. h.c. Horst Bredekamp ist emeritierter Professor der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Bildersturm, Skulptur der Romanik, Kunst der Renaissance und des Manierismus, Politische Ikonographie, Kunst und Technik sowie Neue Medien. Er ist Autor des für das Podcastthema einschlägigen Buches Der Künstler als Verbrecher. Ein Element der frühmodernen Rechts- und Staatstheorie, München 2008, das sich mit der künstlerischen Sonderstellung vor dem Gesetz in der Renaissance auseinandersetzt.
Dr. Tobias Roth ist Literaturwissenschaftler; er wurde mit einer Studie zur Lyrik und Philosophie der italienischen Renaissance promoviert. Er arbeitet als freier Autor, Lyriker, Herausgeber und Übersetzer. Als eines der schönsten Bücher des Jahres 2020 gilt sein gehaltvolles Lesebuch Die Welt der Renaissance, Berlin 2020, das auf beeindruckende Weise den Facettenreichtum der Epoche der italienischen Renaissance einfängt.
Credits
Autor: Darius Wakilzadeh, Kunstgeschichtliches Seminar der Universität Hamburg (darius.wakilzadeh@studium.uni-hamburg.de)
Redaktion, wissenschaftliche Betreuung und Lektorat: Dr. Jana Graul, Kunstgeschichtliches Seminar der Universität Hamburg
Sprecherinnen und Sprecher: Darius Wakilzadeh (Sprecher), Prof. Dr. Horst Bredekamp (Experte), Dr. Tobias Roth (Experte), Joachim H. Weihe (Vasari deutsch), Stefano Zanobini (Vasari italienisch)
Schnitt: Darius Wakilzadeh, Vincent Ellmers
Sound: Vincent Ellmers, Sven Remer
Musik: Tobias Hume (1569-1645), A Merry Meeting. Stefano Zanobini, Viola d’Amore. Mit freundlicher Genehmigung von NovAntiqua Records. Album verfügbar auf: https://www.novantiqua.net/prodotto/A-Question-an-Answer
Grafik: Darius Wakilzadeh
Folge 3
Leidenschaft als Laster – das Feuer der Bildhauerin Properzia de’ Rossi
Was geschah in der italienischen Renaissance, wenn eine talentierte Künstlerin gegen die moralischen Normen verstieß? Galt auch für sie, wie für viele ihrer männlichen Kollegen, die Regel der Ausnahme? Diese Episode beleuchtet das außergewöhnliche Leben und Wirken der Bildhauerin Properzia de’ Rossi, die in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Bologna lebte. Als einzige moderne Künstlerin wird sie in Giorgio Vasaris berühmter Vitensammlung mit einer eigenen Biographie gewürdigt, in der auch ihr vermeintliches Laster – ihre Leidenschaft – zur Sprache kommt. Archivdokumente geben Aufschluss über Properzia de’ Rossis unkonventionelle Lebensweise und ihre Konflikte mit dem Gesetz. Erfahrt, wie sie mit Mut und Leidenschaft ihren eigenen Weg verfolgte.
Kurzbiographie der Künstlerin
Die Bildhauerin Properzia de’ Rossi (ca. 1490-1530) stellt in mehrfacher Hinsicht eine Ausnahme dar. Nicht nur ist sie in ihrer Zeit die einzige bekannte Frau, die in der Marmorbearbeitung tätig war, sondern sie ist auch die einzige Künstlerin, die an einem prestigeträchtigen öffentlichen Auftrag beteiligt wurde. Geboren in Bologna, wo sie auch lebt und künstlerisch wirkt, gelingt es ihr aufgrund ihrer bemerkenswerten Fähigkeiten, sich in einer von Männern dominierten Kunstwelt zu etablieren. Ihren wichtigsten Auftrag erhält sie in der ersten Hälfte der 1520er Jahre: sie wird von der Bauhütte der Basilika San Petronio in Bologna engagiert, an der Gestaltung der Kirchenfassade mitzuwirken. Ihr heute bekanntestes Werk ist das in diesem Kontext entstandene Relief Joseph und Potiphars Weib. Das beigefügte ‘Porträt’ aus Giorgio Vasaris Vita zeigt die Künstlerin zwar wenig plausibel nonnenhaft verhüllt, trägt dafür aber ihrem künstlerischen Schaffen Rechnung, denn, wie erst der zweite Blick verrät, ist Properzia de’ Rossis Bildnis von Vasari als Marmorbüste angelegt.
Link zum besprochenen Werk
Properzia Rossi: Joseph und Potiphars Weib, 1526-1527, Marmorrelief 63 x 82 cm, Museo di Basilika San Petronio, Bologna, LINK
Weiterführende Literatur
- Cohen, Elizabeth S.: „Honor and Gender in the Streets of Early Modern Rome“, in: The Journal of Interdisciplinary History, 22, 4 (Spring 1992), S. 597-625.
- Feser, Sabine: “Einleitung”, in: Giorgio Vasari, Das Leben der Bildhauer des Cinquecento, neu übers. u. hrsg. v. ders. u. Victoria Lorini, hrsg., eingel. u. komm. v. ders., Christina Irlenbusch u. Katja Lemelsen, Berlin 2007, S. 121-124.
- Feser, Sabine: “Anmerkungen zum Leben der Properzia de’ Rossi”, in: Giorgio Vasari, Das Leben der Bildhauer des Cinquecento, neu übers. u. hrsg. v. ders. u. Victoria Lorini, hrsg., eingel. u. komm. v. ders., Christina Irlenbusch u. Katja Lemelsen, Berlin 2007, S. 291-307.
- Jacobs, Fredrika H: „The construction of a life: Madonna Properzia de‘ Rossi ‚Scultrice‘ Bolognese“, in: Word & Image, 9 (2012), S.122-132.
- Wenderholm, Iris: „Flammen der Liebe, in Stein gebannt. Zur Sublimierung von Leidenschaften bei Künstlerinnen der Frühen Neuzeit“, in: Jörn Steigerwald und Valeska von Rosen (Hrsg.), Amor e sacro e profano: Modelle und Modellierungen der Liebe in Literatur und Malerei der italienischen Renaissance, Wiesbaden 2012, S. 259-279.
Quellen
- Vasari, Giorgio: Le vite dei più eccellenti pittori, scultori e architetti (1550/1568), hrsg. v. Rosanna Bettarini/Paola Barocchi, Florenz 1966-1997.
- Vasari, Giorgio: „Das Leben der Bildhauerin Properzia de’ Rossi“, in: Giorgio Vasari. Das Leben der Bildhauer des Cinquecento. Neu übersetzt und kommentiert, hrsg. v. Sabine Feser; Matteo Burioni; Katja Lemelsen, Berlin 2007, S. 125-130.
Expertinnen
Prof. Dr. Iris Wenderholm ist Professorin am Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Kunst und Wissenschaft der Frühen Neuzeit, Bildtheorien, Körperbildern und der Genderforschung, insbesondere im Kontext der europäischen Kunstgeschichte. Sie beschäftigt sich mit Fragen der Materialität, Alterität und der Beziehung zwischen Kunst und Natur. Sie ist Autorin eines 2012 erschienenen, für das Podcastthema einschlägigen Aufsatzes zur Sublimierung von Leidenschaften bei Künstlerinnen der Frühen Neuzeit.
Dr. Jana Graul lehrt am Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg, wo sie die Professur von Prof. Dr. Frank Fehrenbach vertritt. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Kunst der Frühen Neuzeit, mit Fokus auf Italien und Europa, Europadiskurs und Kunstschaffen, sozialen, ästhetischen und theoretischen Fragen zu Moral und Kunst, Neidkonzeptionen, künstlerischen Selbstinszenierungsstrategien und Identitätskonstruktion, Affekt- und Streitkulturen sowie Medizin und Kunst. Sie ist Autorin des Buches: Neid. Kunst, Moral und Kreativität in der Frühen Neuzeit, München 2022.
Credits
Autorin der Folge: Joana Laura Noack (joana.laura.noack@studium.uni-hamburg.de)
Redaktion, wissenschaftliche Betreuung und Lektorat: Dr. Jana Graul
Sprechende: Joana Laura Noack (Sprecherin), Dr. Jana Graul und Prof. Dr. Iris Wenderholm (Expertinnen), Stefano Zanobini (Vasari italienisch)
Schnitt und Sound: Joana Laura Noack und Dominik Sydney Noack (DSN Audioproduktion)
Musik Intro/ Outro: Tobias Hume (1569-1645), A Merry Meeting. Stefano Zanobini, Viola d’Amore. Mit freundlicher Genehmigung von NovAntiqua Records. Album verfügbar auf
Grafik: Darius Wakilzadeh
Folge 4
Wenn Frevelhaftigkeit Talent und Tugend begräbt: Andrea del Castagnos Neid auf Domenico Veneziano
Ein heimtückischer Mord an einem Maler, begangen auf offener Straße an einem Sommerabend in Florenz. Ein Täter, der sein Opfer grausam erschlägt; ein Opfer, das in den Armen eines Kollegen und (vermeintlichen) Freundes verstirbt. Tradiert wird diese Geschichte von dem Künstlerbiographen Giorgio Vasari in der Doppelvita der Maler Domenico Veneziano und Andrea del Castagno, die rund ein Jahrhundert vor ihm lebten. Doch was hat es mit der spektakulären Morderzählung auf sich? Was genau ist passiert? Wer sind Opfer und Täter? Und was hat all das mit der Kunst zu tun?
In dieser Folge steht mit dem Neid ein in der Renaissance als besonders verabscheuenswürdig aufgefasstes Laster im Mittelpunkt. Aber auch das seinerzeit hochgeschätzte Ideal der Freundschaft und künstlerische Qualitäten, allen voran die Fähigkeit der Täuschung, spielen eine wichtige Rolle. Seid vorgewarnt: hier ist nichts so, wie es auf den ersten Blick scheint!
Kurzbiographie der Künstler
Domenico Veneziano, eigentlich Domenico di Bartolomeo, ist um 1410 geboren und verstirbt im Alter von 54 Jahren. In der Florentiner Kunstszene nimmt Veneziano Mitte des 15. Jahrhunderts eine zentrale Stellung ein. Dennoch ist nicht viel über ihn bekannt. Beispielsweise ist unklar, wo er geboren wird und wo er in die Lehre geht. Da Veneziano seine Werke mit dem Zusatz “de Venetis“ - „aus Venedig” - signiert, wird angenommen, dass er aus der Lagunenstadt stammt. Seine Ausbildung dürfte aber zumindest in Teilen bereits in Florenz erfolgt sein. Sein bekanntestes heute überliefertes Gemälde ist ein Altarbild, das sich in den Uffizien in Florenz befindet und zu den Höhepunkten dieser Bildgattung zählt. Gezeigt wird die thronende Jungfrau Maria mit dem Kind im Zwiegespräch mit Heiligen, eine frühe Form der sogenannten “Sacra conversazione”, einer „Heiligen Unterhaltung“ (vgl. Link unten).
Andrea del Castagno erblickt 1419 in Castagno, einem kleinen toskanischen Dörfchen, das Licht der Welt und verstirbt mit nur 38 Jahren in Florenz an der Pest. Auch über seine Ausbildung ist nichts Genaueres bekannt. Im Jahr 1440 wird er von der Florentiner Stadtregierung damit beauftragt, Schandbilder von den entwichenen Rebellen der Anghiari-Schlacht auszuführen. Diese Schandbilder bestrafen die Dargestellten in Abwesenheit per Bild, indem sie sie erhängt zeigen. Der Auftrag bringt Castagno den Spitznamen „Andreino degl’Impiccati“ („Andreas-chen der Erhängten“) ein, der noch nach seinem Tod kursiert. Es folgen weitere Gemälde und großformatige Fresken für Kirchen und Klöster, darunter auch das monumentale gemalte Grabmonument des Niccolò Torrentino im Florentiner Dom. Castagnos Bilder zählen zu den Hauptwerken der Florentiner Malerei des 15. Jahrhunderts.
Links zu Künstler und Werk
Domenico Veneziano: Madonna mit Kind, um 1445, Tempera auf Holz, 209 x 216 cm, Uffizien, Florenz, LINK
Andrea del Castagno: Grabmonument des Niccolò Tolentino, 1456, Fresko, 833 x 522 cm, Kathedrale Santa Maria del Fiore, Florenz, LINK
Weiterführende Literatur
- Dunlop, Anne: Andrea del Castagno and the Limits of Painting, London 2015 (Renovatio artium 1).
- Graul, Jana: „Einleitung zum Leben des Andrea del Castagno“, in: Vasari, Giorgio: Das Leben des Filippo Lippi, des Pesello und Pesellino, des Andrea del Castagno und Domenico Veneziano und des Fra Angelico, hrsg. v. Jana Graul / Heiko Damm, Berlin 2011, S. 45-51.
- Graul, Jana: „Tanto lontano da ogni virtù“ Zu Konkurrenz, Neid und falscher Freundschaft in Vasaris Vita des Andrea del Castagno und Domenico Veneziano”, Kunsttexte (Nr. 1, 2012), https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/kunsttexte/article/view/88090 (abgerufen am 16.04.2024).
- Graul, Jana: Neid. Kunst, Moral und Kreativität in der Frühen Neuzeit, München 2022.
- Nethersole, Scott: Art and violence in early Renaissance Florence, New Haven/ London 2018, S. 209-222.
- Rubin, Pat: Giorgio Vasari. Art and History, New Haven/London 1995.
- Vasari, Giorgio: Das Leben des Filippo Lippi, des Pesello und Pesellino, des Andrea del Castagno und Domenico Veneziano und des Fra Angelico, hrsg. v. Jana Graul / Heiko Damm, Berlin 2011.
Quellen
- Vasari, Giorgio: Le vite dei più eccellenti pittori, scultori e architetti (1550/1568), hrsg. v. Rosanna Bettarini/Paola Barocchi, Florenz 1966-1997.
- Vasari, Giorgio: Das Leben des Filippo Lippi, des Pesello und Pesellino, des Andrea del Castagno und Domenico Veneziano und des Fra Angelico, hrsg. v. Jana Graul / Heiko Damm, Berlin 2011.
Expertin
Dr. Jana Graul ist Kunsthistorikerin und lehrt an der Universität Hamburg, wo sie die Professur von Prof. Dr. Frank Fehrenbach vertritt. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Kunst der Frühen Neuzeit, mit Fokus auf Italien und Europa, Europadiskurs und Kunstschaffen, sozialen, ästhetischen und theoretischen Fragen zu Moral und Kunst, Neidkonzeptionen, künstlerischen Selbstinszenierungsstrategien und Identitätskonstruktion, Affekt- und Streitkulturen sowie Medizin und Kunst. Sie ist Autorin des Buches: Neid. Kunst, Moral und Kreativität in der Frühen Neuzeit, München 2022 und hat sich dort wie auch an anderer Stelle eingehend mit der Vasaris Erzählung von Castagno und Veneziano befasst.
Credits
Autor: Tobias Techen, Kunstgeschichtliches Seminar der Universität Hamburg (tobias.techen@uni-hamburg.de)
Redaktion, wissenschaftliche Betreuung und Lektorat: Dr. Jana Graul, Kunstgeschichtliches Seminar der Universität Hamburg
Sprechende: Tobias Techen (Sprecher), Dr. Jana Graul (Expertin)
Hörspielelemente: Miskatonic Theater Ensemble
Schnitt: Vincent Nicholas Ellmers, Tobias Techen
Sound: Vincent Nicholas Ellmers
Musik Intro/ Outro: Tobias Hume (1569-1645), A Merry Meeting. Stefano Zanobini, Viola d’Amore. Mit freundlicher Genehmigung von NovAntiqua Records. Album verfügbar hier.
Grafik: Darius Wakilzadeh
Folge 5
Benvenuto Cellinis furor oder was Wut und Gewalt mit Kunst zu tun haben
Unser heutiges Bild des berühmten italienischen Bildhauers Benvenuto Cellini aus der Mitte des 16. Jahrhunderts ist von widerstreitenden Aspekten geprägt. Auf der einen Seite steht ein Künstler, der mehrere Menschen tötet und auch noch in seiner Autobiographie damit prahlt; auf der anderen einer, der großartige Kunstwerke schafft. Im Mittelpunkt dieser Folge steht das aggressive Verhalten des Bildhauers und die moralischen Fragen, die sich damit verbinden.
Wie kann es sein, dass er so offen über seine Gewaltakte spricht? Muss er sich für seine Straftaten verantworten? Nicht nur seine ausgeprägte Neigung, Probleme mit Gewalt zu lösen, soll dabei im Fokus stehen. Es geht auch um die Rahmenbedingungen, die sein Verhalten befeuern und um die Strategien, die er findet, um seine Brutalität zu rechtfertigen. Und schließlich kreist die Folge darum, wie es Cellini nach eigener Darstellung gelingt, seine zerstörerischen Neigungen in Zaum zu halten und dadurch in Kunst zu überführen.
Kurzbiographie des Künstlers
Benvenuto Cellini wird im Jahr 1500 in Florenz geboren und verstirbt ebenda 1571 nach einem Leben voller Höhen und Tiefen. Er arbeitet für bedeutende Auftraggeber und wird als Künstler hochgeschätzt, steht aber auch mehrfach vor Gericht und verbüßt sogar Haftstrafen. Nach einer Ausbildung in seiner Heimatstadt, geht Cellini auf Wanderschaft und tritt zunächst als Musiker in den päpstlichen Dienst, bevor er in Rom eine eigene Künstlerwerkstatt eröffnet; später ernennt Clemens VII. ihn zum Stempelmeister der päpstlichen Münzprägeanstalt.
Im Jahr 1536 folgt Cellini der Einladung von König Franz I. an den französischen Hof, wo er als Goldschmied tätig ist, bis ihn der Florentiner Herzog Cosimo I. 1545 mit der Aussicht auf eine großformatige Bronzeskulptur abwirbt – den Perseus. Dieser soll sein bedeutendstes Werk werden. Cellinis im Anschluss im Hausarrest verfasste Autobiographie, ein fesselnder Text, ist ein wichtiges Zeugnis künstlerischen Selbstverständnisses im Italien des 16. Jahrhunderts. Was allerdings die Frage nach seinem Aussehen anbelangt, so sind wir auf Mutmaßungen angewiesen; hier ist eine spätere Darstellung aus dem Jahr 1750 angefügt.
Links zu Künstler und Werk
Benvenuto Cellini (1500 – 1571) italienischer Goldschmied und Bildhauer, LINK
Benvenuto Cellini, Perseus und Medusa, 1545-1554, Bronze, Höhe (ohne Sockel) 320 cm, Florenz, Piazza della Signoria, Loggia dei Lanzi, LINK
Weiterführende Literatur
- Beyer, Andreas: Cellini. Ein Leben im Furor, Berlin 2024.
- Bredekamp, Horst: „Cellinis Kunst des perfekten Verbrechens. Drei Fälle“, in: Benvenuto Cellini. Kunst und Kunsttheorie im 16. Jahrhundert, hrsg. von Alessandro Nova/Anna Schreurs, Köln 2003, S. 337-348.
- Bredekamp, Horst: Der Künstler als Verbrecher. Ein Element der frühmodernen Rechts- und Staatstheorie, München 2008.
- Graul, Jana: Neid. Kunst, Moral und Kreativität in der Frühen Neuzeit, München 2022.
- Graul, Jana: „Kranke Künstler. Das kreative Potential körperlicher Leiden in der Frühen Neuzeit“, in: Kunst und Gebrechen, hrsg. von Hildegard Fraueneder/ Nora Grundtner, Manfred Kern, Wien 2024, S. 75-135, bes. S. 105-112.
- Kantorowicz, Ernst H.: „The Sovereignty of the Artist. A Note of Legal Maxims and Renaissance Theories of Art“, in: De Artibus Opuscula XL. Essays in Honor of Erwin Panofsky, hrsg. von Millard Meiss, New York 1961, S. 267-279.
- Magnago Lampugnani, Anna: Furor. Vorstellungen künstlerischer Eingebung in der Frühen Neuzeit, Müchen 2020.
- Plackinger, Andreas: Violenza. Gewalt als Denkfigur im michelangelesken Kunstdiskurs, Berlin/Boston 2016.
Quellen
- Cellini, Benvenuto: La Vita [ca. 1566], hrsg. von Guido Davico Bonino, Turin 1973.
- Cellini, Benvenuto: Mein Leben. Die Autobiographie eines Künstlers aus der Renaissance, hrsg. u. übers. von Jacques Laager, Zürich 2000.
Experte
Prof. Dr. Dr. h.c. Horst Bredekamp ist emeritierter Professor der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Bildersturm, Skulptur der Romanik, Kunst der Renaissance und des Manierismus, Politische Ikonographie, Kunst und Technik sowie Neue Medien. Er ist Autor des für das Podcastthema einschlägigen Buches Der Künstler als Verbrecher. Ein Element der frühmodernen Rechts- und Staatstheorie, München 2008, das sich mit der künstlerischen Sonderstellung vor dem Gesetz in der Renaissance auseinandersetzt.
Credits
Autor: Joachim H. Weihe (joachim.weihe@studium.uni-hamburg.de)
Redaktion, wissenschaftliche Betreuung und Lektorat: Dr. Jana Graul, Kunstgeschichtliches Seminar der Universität Hamburg
Sprechende: Joachim H. Weihe (Sprecher); Prof. Dr. Horst Bredekamp (Experte); Emanuele Berkenhoff (Cellini italienisch); Vincent Ellmers (Cellini und Papst Paul III. deutsch)
Schnitt: Joachim H. Weihe
Sound: Paul Voigt
Grafik: Darius Wakilzadeh
Link zum Transkript der Folge